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Boris Palmer bei Markus Lanz: Was den Tübinger OB in den »Wahnsinn« treibt

Oberbürgermeister Boris Palmer spricht im ZDF-Talk bei Markus Lanz über Probleme, die das Leben und Arbeiten in Tübingen immer schwerer machen: Fachkräftemangel, sozialer Wohnungsbau und ein seltener Vogel, der dank Bürokratie den Neubau der Uniklinik verhindert.

Tübingens Oberbürgermeister war nach langer Abstinenz wieder Gast in der Talkshow von Markus Lanz im ZDF.
Tübingens Oberbürgermeister war nach langer Abstinenz wieder Gast in der Talkshow von Markus Lanz im ZDF. Foto: ZDF
Tübingens Oberbürgermeister war nach langer Abstinenz wieder Gast in der Talkshow von Markus Lanz im ZDF.
Foto: ZDF

TÜBINGEN. Boris Palmer ist zurück auf der großen Fernseh-Bühne. Bei Markus Lanz ist der Tübinger Oberbürgermeister am Dienstagabend bei seinem ersten Talkshow-Auftritt nach seiner Auszeit direkt wieder zu Hochform aufgelaufen. Emotional hat er im ZDF Stellung zu drei großen Problemen in Deutschland genommen, die aus seiner Sicht das Leben für viele Menschen in der Universitätsstadt immer schwerer machen. Aber anstatt nur Kritik an der Bundesregierung zu äußern, hatte Palmer auch Lösungsvorschläge parat.

Palmer: Bürokratie-Wahnsinn gefährdet Menschenleben

In den »Wahnsinn« treibt Palmer derzeit eine Bürokratie-Posse, die aus seiner Sicht Menschenleben gefährdet. Die Uniklinik kann einen »dringend benötigten« Neubau nicht realisieren. Ein Patient, ein ausgewiesener Vogel-Experte hatte ein extrem seltenes und deswegen streng geschütztes Exemplar zwitschern gehört hat: den Ziegenmelker. Die Naturschutzbehörde gebe vor, dass man für den Vogel ein Ausweichgebiet schaffen müsse, so der Oberbürgermeister. Weil der Ziegenmelker vor allem weitläufige Flächen brauche, müssten im Naherholungswald Bäume auf einer Fläche von zehn Hektar gefällt werden. »Da kriege ich wirklich einen Vogel.« Vor allem, wenn man bedenke, dass der Vogel seit einem Jahr nicht mehr aufgetaucht ist. »Wahrscheinlich ist er längst tot.« Problem gelöst? Nein, denn das Klinik-Gebiet ist laut Palmer nun »Ziegenmelker-Erwartungsland«, was heißt: Man muss so tun, als wäre er noch da.

»Ich würde gerne Verantwortung übernehmen, aber dann würde ich ins Gefängnis kommen«, beschrieb Palmer die rechtliche Lage. Mit seinem Problem hat sich der OB Ministerpräsident Winfried Kretschmann gewandt, aber auch der habe noch keine Lösung gefunden. Palmer hat dagegen einen Vorschlag: »Begründete Abweichungskompetenz. Lasst die Leute auf der untersten Ebene mehr Verantwortung übernehmen.« Bei der Lösung des Kinderbetreuungsproblems habe sich das bereits bewährt. »Wenn die Stadt ein gutes Konzept vorliegt, darf sie in jedem Punkt vom Gesetz abweichen.«

Sozialer Wohnungsbau bietet Sprengstoff

Thema Nummer eins in Palmers Sprechstunden im Tübinger Rathaus: die dramatische Lage auf dem Wohnungsmarkt. Der Bürgermeister habe eine Frau kennengelernt, die im Alter von 70 Jahren von ihrem Chef in Zwangsrente geschickt worden ist. »Sie konnte sich dann ihre Wohnung nicht mehr leisten, musste die Stadt verlassen und in der Peripherie unterkommen.« Eine von rund 1.500 sozialen Wohnungen, die es laut Palmer in Tübingen derzeit gibt, konnte er ihr nicht anbieten. »Im Mittel haben die Leute nach 15 Jahren die Chance auf eine solche Wohnung.« 100 Sozialwohnung könne die städtische Wohnungsbaugesellschaft jedes Jahr neu vermieten. »Auf der Warteliste sind 1.500 Menschen.« Auch aus der Mittelschicht. »Es sind Busfahrer und Krankenschwestern: Leute, die wir brauchen, damit eine Stadt funktioniert.« Das Hauptproblem bei Neubauten sei neben Gesetzen und Vorschriften die Finanzierung. »Wir haben als Stadt das Eigenkapital nicht.« Sein Vorschlag an die »große« Politik: »Wir brauchen ein Sondervermögen wie bei der Bundeswehr von 100 Milliarden Euro, mit dem man gezielt den Neubau vorantreibt.«

Fachkräftemangel großes Problem bei Tübinger Unternehmen

Wenn Palmer mit Tübinger Unternehmern redet, gehe es vor allem um eines: Arbeitskräfte- und Fachkräftemangel. Der Ernst der Lage werde wahrscheinlich von den Bundestagsabgeordneten verkannt, »weil wir kaum Arbeitslosigkeit haben«, vermutete der OB in der Lanz-Show. »Es ist wie eine Krankheit ohne Symptome.« Diese bedrohe jedoch zusehends die mittelständischen Unternehmen seiner Stadt. »Es fängt damit an, dass man Stellen nicht nachbesetzen kann.« Deshalb habe er kein Verständnis dafür, wie man »hoch-qualifizierte« und »top-fitte« Fachleute laut Gesetz zwei Jahre vorzeitig in Rente schicke.

»Das kann ja jeder machen, der das will, aber doch nicht mit finanziellen Zuschüssen.« Neun Milliarden Euro würde »der Spaß« laut Palmer den Bund kosten, außerdem seien 250.000 Fachkräfte pro Jahr »einfach weg, weil wir es ihnen so einfach machen, zu gehen«. Er schlägt stattdessen eine andere Strategie vor: »Wir sollten ihnen einen Zuschlag zahlen, dass sie länger arbeiten. Das wäre ökonomisch vernünftig.« Ob das seine einzige Lösung für den Fachkräftemangel sei, fragte Bauministerin Klara Geywitz (SPD). Sie sehe das größte Potenzial nämlich bei Frauen, die Vollzeit arbeiten. »Mit besserer Ganztagesbetreuung könnten die Oberbürgermeister einen wesentlichen Beitrag leisten.« Palmer stimmte zu: »Aber wir können nicht auf eins verzichten. Wir brauchen alles.« (GEA)