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Brennende Gasflasche hielt Holzelfingen einen ganzen Tag in Atem

Eine brennende Acetylen-Gasflasche auf dem Betriebshof einer Firma in Holzelfingen brannte am Donnerstag und drohte zu explodieren. Im Umkreis von 200 Meter wurden deshalb die Anlieger aus ihren Häusern evakuiert. Der besondere Großeinsatz entwickelte sich für Rettungskräfte und Anwohner zur Geduldsprobe.

Sieht wenig spektakulär aus, ist aber extrem gefährlich: Eine brennende Acetylen-Gasflasche sorgte in Holzelfingen für einen Großeinsatz der Rettungskräfte. Foto: Feuerwehr
Sieht wenig spektakulär aus, ist aber extrem gefährlich: Eine brennende Acetylen-Gasflasche sorgte in Holzelfingen für einen Großeinsatz der Rettungskräfte.
Foto: Feuerwehr

LICHTENSTEIN-HOLZELFINGEN. Um 9.29 Uhr geht der Alarm. Gasflaschenbrand in der Kornbergstraße in Holzelfingen. Die Lichtensteiner Feuerwehr rast, so berichten es Augenzeugen, mit Höchstgeschwindigkeit ins Industriegebiet. Die Flasche liegt vor der Werkstatt am Boden und brennt mit einer kleinen Flamme. Höchste Gefahr.

Lichtensteins Feuerwehrkommandant Andreas Daum erkennt die Lage sofort, ruft Überlandhilfe aus Pfullingen sowie von der Werksfeuerwehr Bosch. Für die über 100 Einsatzkräfte beginnt ein sehr langer Tag. Denn die Gefahrenlage ist knifflig. Wenn die Flasche explodiert, sind die Folgen kaum absehbar.

Gebiet weiträumig abgesperrt

Deshalb entscheidet sich die Feuerwehr um Kreisbrandmeister Wolfram Auch, die sich von Fachkräften der Werksfeuerwehr Bosch beraten lässt, sowie die Gemeinde, vertreten durch Bürgermeister Peter Nußbaum und Hauptamtsleiterin Beatrice Herrmann, für Evakuierung. In einem Umkreis von 200 Meter müssen die Anwohner ihre Häuser verlassen. Das gab es in Holzelfingen laut Herrmann noch nie. Sie koordiniert den zivilen Teil der Rettungsaktion.

Die Feuerwehr überwacht die in Holzelfingen brennende Gasflasche mit einer Drohne. Zwei Wasserwerfer löschen mit je 1.500 Litern Wasser pro Minute. Foto: Dieter Reisner
Die Feuerwehr überwacht die in Holzelfingen brennende Gasflasche mit einer Drohne. Zwei Wasserwerfer löschen mit je 1.500 Litern Wasser pro Minute.
Foto: Dieter Reisner

Die Polizei sperrt das Gebiet weiträumig ab, geht von Haus zu Haus. Die Feuerwehr fährt mit Mannschaftswagen durch die Gassen und fordert die Anwohner über Lautsprecher auf, »ruhig, aber zügig ihr Haus zu verlassen und sich in die Greifensteinhalle zu begeben«. Es funktioniert, aber schleppend. Und es dauert. Bevor die Anwohner nicht in Sicherheit sind, ergreift die Feuerwehr keine weiteren Maßnahmen, um die Gefahr nicht zu erhöhen. Am Einsatzort kühlen die Feuerwehrmänner und Frauen mit viel Wasser.

Die Feuerwehr bittet Anwohner, ihre Häuser zu verlassen.
Die Feuerwehr bittet Anwohner, ihre Häuser zu verlassen. Foto: Reisner
Die Feuerwehr bittet Anwohner, ihre Häuser zu verlassen.
Foto: Reisner

Denn die Situation ist schwierig und stellt die Einsatzkräfte vor eine große Herausforderung, die sie so auch noch nicht gehabt haben: eine brennende Gasflasche gefüllt mit Acetylen. Sie liegt vor der Werkstatt eines Steinmetzes.

Nach GEA-Informationen war die Flasche zu zwei Dritteln mit Acetylen gefüllt. Das Gas kontrolliert abbrennen zu lassen, würde bis zu elf Stunden dauern. Beim Löschen könnte sich die Gefahr einer Explosion jedoch deutlich erhöhen. Bayram Eser wohnt in der Nähe und hat die Situation beobachtet wie die Feuerwehr sofort die Flasche mit Wasser gekühlt hat. »Sie waren sehr schnell da. Das haben sie gut gemacht.«

Kritische Phase überwunden

Um 13 Uhr informiert Beatrice Herrmann in der Greifensteinhalle rund 70 Menschen, darunter einige Kinder, über die Situation. Sie hören alle aufmerksam zu. Das DRK Lichtenstein sorgt für Speis und Trank. Es gibt Spaghetti mit Tomatensoße und Getränke.

Anwohner verlassen ihre Häuser und begeben sich in die Greifensteinhalle.
Anwohner verlassen ihre Häuser und begeben sich in die Greifensteinhalle. Foto: Reisner
Anwohner verlassen ihre Häuser und begeben sich in die Greifensteinhalle.
Foto: Reisner

»Das ist eine völlig außergewöhnliche Situation«, sagt Marco Bussmann. »So etwas hab ich noch nie erlebt«. Doch von Ärger keine Spur bei dem Anwohner, im Gegenteil. Er zeigt Verständnis für die Evakuierung. »Es ist besser so, bevor noch was passiert. Ich hoffe, dass es schnell vorbei ist.«

Dem ist nicht so. Denn die Evakuierung dauert und für die Feuerwehr stellt sich ein Problem. Nach stundenlangem Kühlen steigt die Temperatur im Inneren der Gasflasche. Das erhöht den Druck und entsprechend die Gefahr einer Explosion, erläutert Dr. Chris Vollemann, einer der Fachberater. Die Einsatzleitung setzt auf die Expertise von mehreren Fachleuten.

In der Greifensteinhalle werden die Evakuierten zunächst registriert.
In der Greifensteinhalle werden die Evakuierten zunächst registriert. Foto: Reisner
In der Greifensteinhalle werden die Evakuierten zunächst registriert.
Foto: Reisner

Es ist 14.22 Uhr. Für die Rettungskräfte beginnt die kritische Phase. Die Anspannung ist spürbar. Es wird stetig die Temperatur gemessen, es wird weiter gekühlt. Sie erhöhen die Anzahl der Wasserwerfer auf drei. Da geht jeweils pro Minute 1.500 Liter Wasser auf die Gasflasche. »Das warme Wetter macht uns einen Strich durch die Rechnung«, sagt Wolfram Auch. Es heißt warten. Allen Rettungskräften ist die Situation bewusst. Sie wissen, dass in der Greifensteinhalle rund 100 Menschen sehnlichst auf ein Ende warten. Aktuelle Informationen überbringt ihnen Ordnungsamtsleiterin Kerstin Jungel, weil Herrmann sich am Einsatzort aufhält.

Lagebesprechung in Holzelfingen: Die Verantwortlichen sind sich nicht sicher, wie sie mit der brennende Gasflasche weiter vorgehen sollen. Foto: Dieter Reisner
Lagebesprechung in Holzelfingen: Die Verantwortlichen sind sich nicht sicher, wie sie mit der brennende Gasflasche weiter vorgehen sollen.
Foto: Dieter Reisner

Dann atmen alle auf. Die Gesichter der Verantwortlichen entspannen sich. Um 15.22 Uhr hat sich die Temperatur nicht mehr erhöht. Jetzt kann die eigentliche Bergung des Gefahrguts eingeleitet werden. Nur welche? Es bleibt herausfordernd. Eines aber beachten sie alle. »Wir haben es bis jetzt geschafft, die Lage in den Griff zu bekommen«, ermahnt der Kreisbrandmeister seine Kollegen. »Dann machen wir jetzt keinen Schnellschuss und riskieren eine Explosion.« Also wieder Köpfe zusammenstecken, beraten, messen, kühlen. Dann um 16.19 Uhr die Entscheidung. Die Gasflasche wird auf einen Wechsellader mittels eines Krans gehoben und liegt dort zwischen Big Packs, die alle gefüllt sind mit Sand. Die Feuerwehr macht sich an die Arbeit.

Bis in die Greifensteinhalle ist die Entscheidung noch nicht gedrungen. Manche sind schon gegangen, ein Großteil harrt aus. Darunter auch Manfred Hinderer, der volles Verständnis für das Vorgehen hat. »Das hat uns völlig überrascht«, erzählt er. »Wir sind heim gekommen und haben Polizei vor unserem Haus gesehen. Wir haben uns als Anwohner zu erkennen gegeben. Ich hab dann schnell meinen warmen Leberkäs in den Kühlschrankt getan. Das hab ich auch noch nie gemacht«, sagt er und schmunzelt.

Reibungslos verläuft die Bergung der Gasflasche. Um 18.15 Uhr meldet der Kreisbrandmeister Vollzug, gegen 19 Uhr konnten die Bewohner wieder zurück in ihre Häuser. Es gab keine Verletzten. Das Gefahrgut wurde an einen sicheren, abgesperrten Ort transportiert. (GEA)

Was ist Acetylen?

Acetylen (C2H2), auch Ethin oder Äthin genannt, ist ein farbloses, durch Verunreinigungen meist knoblauchähnlich riechendes Gas, das in der Industrie und bei Schweißverfahren zum Einsatz kommt. Es wird in Druckgasflaschen gelagert. Auf der Erde gibt es keine natürlichen Ethin-Vorkommen, stattdessen wird es industriell gefertigt. In seiner Reinform ist Acetylen nicht giftig, allerdings wirkt es erstickend und betäubend. Die Gefahr durch Brände oder Explosionen ist wesentlich höher als die durch Erstickung.

Acetylen ist ideales Schweißgas. Aufgrund der besonderen physikalischen und chemischen Eigenschaften erzielt es die höchste Flammentemperatur, Zündgeschwindigkeit und Flammenleistung. Das heißt auch, das Gas ist hochentzündlich, und es neigt zur Selbstzersetzung. Steigt die Temperatur im Behälter über 100 Grad Celsius, droht dieser zu bersten. Dabei kann ein Feuerball mit bis zu 30 Meter Durchmesser entstehen und die Trümmer bis zu 300 Meter weit fliegen. Dabei können diese auch Betonwände durchschlagen.

Die wichtigste Maßnahme bei einem Brand ist deshalb ein massives Kühlen des Behälters. Dazu soll die Feuerwehr so wenig wie möglich Personal im Gefahrenbereich einsetzen. Einsatzkräfte mit Deckung, Hitzeschutzkleidung und Atemschutz sollen einen Mindestabstand von 20 Metern einhalten. Personen ohne Deckung sollten mindestens 200 Meter entfernt bleiben. Des Weiteren empfiehlt die Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes in ihrem Merkblatt für den Feuerwehreinsatz, Behälter, die am Ventil brennen, zu kühlen und ausbrennen zu lassen. (GEA)