TÜBINGEN. Die AfD hatte ihr Kommen abgesagt, nachdem Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer eine Podiumsdiskussion mit Vertretern der AfD in der Stadt zugesagt hatte. Palmer hatte damit Schaden von der Stadtgesellschaft und vor allem auch vom örtlichen Handel abwenden wollen. Mit Umsatzeinbrüchen in sechsstelliger Höhe sei zu rechnen gewesen, sollte die AfD am Samstag vor dem Modehaus Zinser auf mehrere tausend Gegendemonstranten treffen, sagte Palmer am Freitag in einem Pressegespräch. Die AfD stellte ihn vor die Alternative, entweder eine Kundgebung am Samstag oder eine Podiumsdiskussion mit ihm in einer Halle in der Stadt.
Dass er sich für Letzteres entscheiden hat, nahm ihm das breite Bündnis aus Parteien und Organisationen, das sich spontan gegen die AfD gebildet hatte, übel. Demonstriert wurde trotzdem, auch ohne AfD. Allerdings kamen rund 400 bis 500 Menschen, nicht mehrere Tausend. »Palmer ist bei Trump in die Lehre gegangen«, sagte Iris Hilke von den Omas gegen Rechts bei der Kundgebung vor dem Epplehaus. »Warum sind keine Vertreter des Bündnisses auf das Podium geladen?«, fragte sie. Und direkt an Palmer gewandt: »Warum diskutieren Sie nicht mit den Bürgern der Stadt?« Auch Hans-Peter Hellermann von der Geschichtswerkstatt ließ an dem Deal kein gutes Haar: »Ich bin einigermaßen entsetzt, dass der OB mit der AfD verhandelt hat, um ihr in der Stadt ein Podium zu bieten.«
Lucius Teidelbaum vermutete, dass die AfD in Tübingen eher provozieren als Wähler erreichen wollte. In der Unistadt habe sie vergleichsweise wenig Anhänger. Es sei ihr wohl eher darum gegangen, sich anschließend als Opfer in den sozialen Medien zu präsentieren. Salwa vom Verein der syrischen Flüchtlinge verwies auf die wichtige Rolle der Migranten in der Gesellschaft: »Stellen Sie sich einen Tag ohne Migranten vor. Wer pflegt Sie im Alter? Wer bringt den Müll weg? Wo können Sie essen gehen?« Auch ein Tübingen ohne ausländische Studierende wäre ärmer.
Noch während die Kundgebung vor dem Epplehaus mit vielen Redebeiträgen und Musik lief, versammelten sich am anderen Ende der Karlstraße, beim Haupteingang des Zinsers, die zweite Demonstration, zu der Gemeinsam & solidarisch gegen Rechts aufgerufen hatte. Friedlich verliefen beide Kundgebungen. Im Anschluss setzte sich ein Demozug Richtung Wilhelmstraße in Bewegung, der sich dann in der Nauklerstraße auflöste.
»Wir sind froh, dass alles so verlaufen ist.«
Aus der befürchteten Konfrontation war ein friedliches, fröhliches Beisammensein geworden. Kein Wunder, schließlich fehlte der Gegner. Die Händler rund um Zinserdreieck und in der Altstadt atmeten auf. »Wir sind froh, dass alles so verlaufen ist« , sagte der stellvertretende Zinser-Geschäftsführer Steffen Mächtle. Der Handel verlief am Samstagmorgen völlig normal. Das hätte ganz anders aussehen können. »Wir waren auf alle Eventualitäten vorbereitet«, so Mächtle.
Aufatmen auch bei der Polizei. Alles sei friedlich verlaufen, bestätigte Einsatzleiter Markus Dürrschnabel. Man sei mit einer »angemessenen Anzahl von Beamten« vor Ort gewesen. Keine Konfrontation mit den Demonstranten, im Gegenteil: Bei einem medizinischen Notfall am Rand der Demo leisteten Beamte sofort erste Hilfe. Das sahen Demonstrationsteilnehmer und bedankten sich anschließend ausdrücklich für den tatkräftigen Einsatz der Beamten. (GEA)