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Gründerfieber in der Reutlinger Metzgerstraße

Die Reutlinger Biosphären-Manufakur soll weit über die Ladentür hinausstrahlen. Doch der Standort ist weiter in der Kritik.

Roland Wintzen (rechts) und Reiner App talkten in der Biosphären-Genuss-Manufaktur locker vom  Hocker über ernste Themen.  Foto:
Roland Wintzen (rechts) und Reiner App talkten in der Biosphären-Genuss-Manufaktur locker vom Hocker über ernste Themen. Foto: Schanz
Roland Wintzen (rechts) und Reiner App talkten in der Biosphären-Genuss-Manufaktur locker vom Hocker über ernste Themen. Foto: Schanz

REUTLINGEN. Verheißungsvoll wehte Maultaschenduft am Dienstagabend durch den Raum in der Metzgerstraße 59, der schon ab Herbst zur Biosphären-Manufaktur werden soll. Mit-Initator Reiner App von den »Köpfen für Reutlingen« freute sich über »die gute Laune« im Saal, die es seiner Wahrnehmung nach in der Stadt »oft nicht so gibt«. Zuletzt habe die Nachricht von der Breuninger-Schließung den Bürgern die Stimmung verhagelt.

Am Informationsabend »Wirtschaft trifft Biosphäre« war Finanzbürgermeister Roland Wintzen zum Barhocker-Talk geladen. Auch ihn freute der Andrang. »Das macht mir das Mut und zeigt mir: Wenn wir was bewegen, finden wir Resonanz.« Die Breuninger-Nachricht habe ihn »geschockt«. Der Ruf nach Rezepten gegen Leerstände und Einzelhandelssterben werde lauter. »Wir haben einige Sachen in der Entwicklung«, sagte Wintzen, ohne Konkretes auszuführen. Er hat sich jedenfalls geärgert über die presseöffentliche Breuninger-Darstellung, dass Reutlingen fürs Unternehmen »ein Einzelfall« sei.

»Etwas Neues, was uns speziell macht «

»Reutlingen ist kein unheilbarer Patient«, beteuerte er. Gastroanbieter und Handel hätten die Vor-Corona-Zahlen nicht erreicht. Aber: Die Passantenfrequenz in der Innenstadt liege 4 Prozent über dem Niveau vor der Pandemie. 7,9 Millionen Menschen haben 2023 die Wilhelmstraße frequentiert: »Die höchste jemals gemessene Zahl.« Allerdings gäben die Leute nicht mehr so viel Geld aus.

Erst der Verlust von Galeria Kaufhof, dann die Breuninger-Nachricht: Der Strukturwandel werde in Reutlingen gerade besonders deutlich augenfällig, meinte Reiner App. Es gelte nun, neue Standortfaktoren zu kreieren. Dazu gehöre die Manufaktur-Halle: Hier soll es nicht nur Besonderes zu kaufen geben, sondern Produktion »erlebbar« gemacht werden (siehe Infobox). Die Halle soll ihren Geist auf Straße und Quartier ausstrahlen, der Kompass zeigt nun insbesondere gen Wilhelm- und Kanzleistraße. Mehr Grün, bunte Märkte auf dem Weibermarkt, Veranstaltungen mit anderen Innenstadtakteuren sind geplant.

»Etwas Neues, was uns speziell macht«, sieht Roland Wintzen, »einen richtigen Weg«, den die Stadt auch durch die Anschubfinanzierung aus dem Bundes-Städteförderprogramm ZIZ unterstützt. Der Dezernent sieht die Achalmstadt nicht in der oft beklagten Konkurrenz zur Nachbarin. »Wir werden nie Metzingen sein.« Im 2018 gestarteten Markenbildungsprozess hätten Befragte Reutlingen immer wieder für »entspanntes Einkaufen« gelobt, erinnerte er. »Wir müssen die, denen in Metzingen zu viel Trubel ist, hierher bekommen. Und dazu passt die Bio-Manufaktur.«

Auch der genossenschaftliche Ansatz gefällt dem Dezernenten: Er versprach, Mitglied zu werden, und bekam von Reiner App sogleich ein Genuss-Paten-Shirt überreicht. Die Halle stehe fürs gesamte Biosphärengebiet, betonte dieser. Wer Anteile zeichne, investiere in Stadt und Region.

Der Standort der Halle war kein Thema an diesem Abend. Die CDU-Fraktion hatte ihn im Vorfeld presseöffentlich kritisiert. CDU-Rat Udo Weinmann sagte am Rande der Veranstaltung: »Wir unterstützen die Idee. Aber die Erfolgschancen wären auf der Wilhelmstraße größer gewesen.« Hier war eine Immobilie gegenüber von Osiander im Gespräch.

Genossen gesucht

Schaubäckerei, Schokowerkstatt, Nudelmacher, Kaffeerösterei: In der Reutlinger Biosphären-Genuss-Manufaktur, der »M59«, sollen Besucher Handwerkskunst live erleben und regionale Produkte kaufen können – wenn alles gut läuft, schon ab Herbst dieses Jahres. Ein halbes Dutzend Unternehmen können laut Manufaktur-Mitinitiator Reiner App von den »Köpfen für Reutlingen« Platz finden. Konkrete Namen will er noch nicht nennen, weitere Anbieter seien willkommen. Ein Restaurant mit Außenterrasse und Veranstaltungen von Backkursen über Degustationen bis hin zu Konzerten werden weitere Anziehungspunkte sein. Die ehrenamtlichen Initiatoren suchen weitere Genossen: Das Projekt wird als Bürgergenossenschaft organisiert. Rund 350 Unterstützer haben laut App schon Absichtserklärungen unterzeichnet – der übliche Schritt vor der Gründung einer Genossenschaft. Ein Anteil – also quasi der Mindesteinsatz – kostet 250 Euro. Die Manufakturen-Halle soll helfen, die Innenstadt zu bereichern. Als Epizentrum eines »Biosphärenquartiers« soll sie Werbung machen für die Vision Biosphärenstadt und -region. (igl)

Was dem Christdemokraten am jetzigen Standort nicht gefällt, formuliert er vorsichtig: Die Metzgerstraße sei »geprägt von Einseitigkeit«. Muss der Autoverkehr aus der Straße verbannt werden? Die CDU meint, nein. Sie möchte einen Shared Space.

Auch Roland Wintzen räumte auf Nachfrage ein: »Der Standort Metzerstraße ist nicht so…« Was das »so« bedeutet, mochte auch er nicht ausführen, nur: »Schöner wäre die Wilhelmstraße gewesen.«

»Reutlingen ist kein unheilbarer Patient«

Auf die unerfreuliche Entwicklung der Metzgerstraße und anderer Altstadtquartiere wie etwa des Gerberviertels angesprochen räumte er ein: »Wir müssen mehr tun als bisher.« Dazu gehöre auch ein Mobilitätskonzept im Rahmen des ZIZ-Programmes, das der Stadt etwas finanzielle Spielräume verschafft. Man werde dabei alle Verkehrsarten und das Parken in der Innenstadt in den Blick nehmen. Nächstes Jahr soll es Ergebnisse geben. Zur Metzgerstraße könne er aber konkret noch nichts sagen.

Reiner App hatte beim Talk von »grünen Torbögen« an Metzger-, Kanzlei- und Wilhelmstraße geschwärmt. Am Rande der Veranstaltung sagte er jedoch, dass man von der Idee der »Biosphärenstraße Metzgerstraße« abgekommen sei (siehe Kommentar). »Einen Teil integrieren und einen Impuls setzen für die verkehrliche Gestaltung der Metzgerstraße« sei jetzt Marschlinie. »Ich sehe Begrünung und Menschen, die auf der Straße sitzen.«

Doch dafür müsste sich im Außenbereich eine Menge tun: Bisher dürfte auf dem engen Gehsteig vor der Manufaktur-Halle weder die Außengastronomie, die eine Visualisierung zeigt, noch sonst irgendetwas möglich sein. (GEA)

Einblick von außen in die Halle.
Einblick von außen in die Halle. Foto: STEFFEN SCHANZ
Einblick von außen in die Halle.
Foto: STEFFEN SCHANZ