TÜBINGEN. Der Tübinger Kreistag hat einen neuen Landrat gewählt. Landrat Joachim Walter sprach von einer »wichtigen und zukunftsweisenden Sitzung« des Kreistags. Anschließend wurde die Reihenfolge, in der sich die beiden Kandidaten - Dr. Hendrik Bednarz und Dr. Daniala Hüttig - dem Gremium vorstellen konnten, ausgelost. Walter prüfte auch die Wahlurne, die leer war und zeigte beim Losverfahren, dass tatsächlich in beiden Briefumschlägen unterschiedliche Namen geschrieben standen. »So ist es ein faires Verfahren«, betonte Walter, der beim Wahlvorgang die einzelnen Kreisräte namentlich nach vorne bat. Dort erhielten sie ihre Stimmzettel und konnten in zwei Wahlurnen ihre Wahl treffen. Zuvor waren die beiden Reden der Kandidaten auch live ins Landratsamt gestreamt worden, wo auch die Mitarbeitenden der Behörde die Wahl ihres künftigen Chefs verfolgen konnten. Gut gefüllt waren auch die Zuschauerreihen auf der Empore des Sitzungssaals. Einige Zuschauer mussten die Kreistagssitzung stehend verfolgen.
Die Bewerbungsreden
Als erster Kandidat durfte sich Dr. Hendrik Bednarz, selbst Kreistagsmitglied und Erster Bürgermeister in Rottenburg, nach einem Losentscheid dem Gremium vorstellen. Dabei dankte Bednarz zuerst Landrat Walter, der eine Ära geprägt und den Landkreis souverän durch viele Krisen geführt habe. »Chapeau vor dieser Leistung«, sagte Bednarz, Applaus im Gremium folgte. Bednarz betonte aber zugleich, dass auch er - die Finanzkrise 2008 ausgenommen - bei allen Krisen in verantwortungsvoller Position »mittendrin statt nur dabei« gewesen sei. Angesichts »durchgeknallter US-Milliardäre und Präsidenten« sei gesellschaftlicher Zusammenhalt gefragt, weshalb er als Landrat überparteilich arbeiten und Brücken bauen wolle. Die Regionalstadtbahn Neckar-Alb bezeichnete Bednarzals als »Jahrhundertprojekt, das bundesweit seines gleichen sucht«. Es sei zwingend notwendig, um etwa die Pflegekräfte nach Tübingen zu holen, die sich eine Wohnung in der Unistadt nicht leisten könnten und auf den ÖPNV angewiesen seien. Er bewerbe sich um das Amt als »Landrat im schönsten Landkreis«, schloss Bednarz seine Rede. Gefragt nach seinen Prioritäten im Amt nannte der 46-Jährige die Umsetzung der Regionalstadtbahn, das Kreisjugendamt und die Integration von Flüchtlingen.
Ans Rednerpult getreten, musste sich Dr. Daniela Hüttig, Erste Landesbeamtin im Tübinger Landratsamt, erst einmal kurz sammeln. Aufgrund ihrer Zusammenarbeit im Gremium sei nun für manche vielleicht die Zeit der »Abrechnung« gekommen, meinte Hüttig, die zugleich betonte, dass sie die Kreisräte durch zahlreiche Gespräche seit ihrer Bewerbung besser kennengelernt habe und das gegenseitige Verständnis gewachsen sei. Dennoch betonte sie auch Differenzen: Gegen immer wieder diskutierte Stellenstreichungen im Landratsamt etwa werde sie auch in Zukunft widersprechen, kündigte Hüttig an und begründete dies damit, dass das Landratsamt Tübingen »den schmalsten Personalschlüssel in Baden-Württemberg« habe. Stattdessen brauche es eine Einsicht in Bund und Land, Verwaltungsverfahren zu vereinfachen und sie nicht noch komplexer werden zu lassen. Sie gelte als empathische, berechenbare Chefin mit klaren Aussagen und keiner Scheu, Entscheidungen zu treffen. »Ich möchte in meinem Haus präsent sein und den Mitarbeitern etwas zurückgeben«, sagte Hüttig. Ihr Ziel sei eine »Behörde mit Haltung, Struktur und empfundenem Sinn in der täglichen Dienstleistung, auch in Zeiten wie jetzt, wo die Mitarbeitenden den Druck von außen deutlich wahrnehmen«. Seit drei Jahren würde der Kreis allerdings rote Zahlen schreiben, weshalb ein Herunterfahren von Standards nötig sei, etwa auch im ÖPNV. Dennoch verwahrte sich Hüttig gegen Gerüchte, sie sei gegen die Regionalstadtbahn. »Das ist falsch und ärgert mich sehr«, betonte Hüttig und kritisierte, sie werde »bewusst falsch verstanden«. Die 51-Jährige schloss mit einer klaren Ansage zu ihrer Persönlichkeit: »Ich bringe etwas mit, was ich bin. Ja ich bin höflich, empathisch, zuvorkommend. Ich bin nun einmal keine Rampensau, ich brülle nicht rum in der Regel und provoziere nicht ohne Not. Bin aber klar in dem, was ich für richtig und finanzierbar halte. Mir fällt kein Zacken aus der Krone, um einmal nach einer Meinung zu bitten. Wenn sie jemanden suchen, was ich alles nicht bin, bin ich die falsche Wahl. Werde mich für das Amt nicht verändern.« Schwerpunkte seien für sie die Regionalstadtbahn, der Katastrophenschutz und das Jugendamt, in welchem aktuell »Notbetrieb« herrsche.
Dritter Wahlgang erforderlich
Der Tübinger Kreistag umfasst insgesamt 67 Mitglieder. Für die absolute Mehrheit waren daher 34 Stimmen erforderlich, auch wenn nicht alle Kreisräte anwesend waren und Bednarz wegen Befangenheit nicht mitstimmen konnte. Kurze Zeit nach der Stimmabgabe verkündete Landrat Joachim Walter das Ergebnis: Im ersten Wahlgang entfielen 29 Stimmen auf Daniela Hüttig, Hendrik Bednarz konnte dagegen 32 Stimmen auf sich vereinen. Es gab zwei Enthaltungen. Nun war ein zweiter Wahlgang fällig - in beiden benötigte ein Kandidat jeweils die absolute Mehrheit, erst im dritten Wahlgang gilt als gewählt, wer die meisten Stimmen auf sich vereinen konnte. Das Gremium verzichtete nach dem ersten Wahlgang auf eine Sitzungsunterbrechung, nahtlos ging es in den zweiten Wahlgang. Dann drehte der Wind: Hüttig vereinte im zweiten Wahlgang 32 Stimmen auf sich, während Bednarz nun nur noch 31 Stimmen für sich verbuchen konnte. Es gab keine Enthaltungen. Mindestens ein Kreisrat musste daher seine Meinung zwischen den Wahlgängen komplett geändert haben. Nun folgte eine Sitzungsunterbrechung von zehn Minuten. Die Fraktionen konnten sich in ihre Räumlichkeiten oder den mittleren Sitzungssaal zurückziehen. Rege Gespräche in Kleingruppen folgten. Zuvor hatte schon eine Kreisrätin geunkt, aller guten Dinge sei drei.
Als um 17 Uhr - die Sitzung hatte vor zwei Stunden begonnen - der dritte Wahlgang startete, ging alles wieder schnell. Landrat Walter rief jeweils zwei Kreisräte zur Wahl nach vorne. Sie erhielten die Stimmzettel, gingen zu den beiden im Sitzungssaal aufgestellten Wahlurnen und stimmten ab. Die Spannung stieg, während der Wahlausschuss die Stimmzettel auswertete. Zuvor hatte Landrat Walter gewitzelt, dass die Wahlkabinen bereits abgenutzt seien und wohl kein Kreistagsmitglied zwischenzeitlich den Nachhauseweg angetreten hätte. Und der Landrat informierte, was bei einer Stimmengleichheit geschehen würde: Dann würde das Losverfahren entscheiden. Dann wurde das - entscheidende - Ergebnis verkündet: Auf Bednarz entfielen 32 Stimmen, Hüttig unterlag mit 31 Stimmen. Es gab keine Enthaltung.
Eine Kandidatin zog zurück
Ursprünglich hatte es drei Kandidaten für die Landratswahl gegeben. Außer Dr. Daniela Hüttig und Dr. Hendrik Bednarz hatte sich auch Almut Cobet beworben. Cobet, bis März dieses Jahres Erste Bürgermeisterin der großen Kreisstadt Göppingen, hatte ihre Bewerbung aber am 26. Mai zurückgezogen. Die 51-jährige Stuttgarterin wurde stattdessen im Juni zur Leiterin des Amtes für soziale Dienste in Sindelfingen gewählt.
Im September wird der Nachfolger von Landrat Joachim Walter ins Amt eingeführt. Der 1960 in Rottweil geborene Walter hinterlässt große Fußstapfen. 2003 wurde der CDU-Politiker zum Landrat in Tübingen gewählt, 2013 wurde Walter zudem zum Präsidenten des Landkreistags Baden-Württemberg gewählt und machte dabei mit pointierten Aussagen landesweit Schlagzeilen, etwa mit seinen Aussagen zur Migrationspolitik oder den belasteten Kommunalfinanzen. Zuletzt warb Walter einmal mehr bei einem Dialogformat in Tübingen für einen deutlicheren Bürokratieabbau. Walter geht zum 1. Oktober dieses Jahres in den Ruhestand, zuvor war er zweimal in seinem Amt als Landrat in Tübingen bestätigt worden. Der dann 65-Jährige begründete seine Entscheidung vor allem mit gesundheitlichen Gründen. Seinen Rückzug in den Ruhestand hatte er im Dezember vergangenen Jahres bekanntgegeben. (GEA)