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Kitagebühren in Reutlingen: »Wir sind zu teuer«

Verglichen mit anderen Städten sind die Kinderbetreuungs-Gebühren in Reutlingen in vielen Kategorien hoch. Verwaltungsbürgermeister Robert Hahn erklärt, warum das so ist.

Über 60 Millionen Euro kostet die Kinderbetreuung in Reutlingen  jährlich.  Die Elternbeiträge bringen nur gut zehn Prozent davo
Über 60 Millionen Euro kostet die Kinderbetreuung in Reutlingen jährlich. Die Elternbeiträge bringen nur gut zehn Prozent davon ein. Foto: Patrick Pleul/dpa
Über 60 Millionen Euro kostet die Kinderbetreuung in Reutlingen jährlich. Die Elternbeiträge bringen nur gut zehn Prozent davon ein.
Foto: Patrick Pleul/dpa

REUTLINGEN. »Wir sind zu teuer. Das ist nicht familienfreundlich.« Verwaltungsbürgermeister Robert Hahn eiert im GEA-Gespräch im Hinblick auf die Kinderbetreuungs-Gebühren für die hiesigen Eltern nicht herum. Die Deutsche Presseagentur hatte, wie berichtet, das für Reutlingen unrühmliche Ergebnis einer Studie des Instituts der Deutschen Wirtschaft unlängst für jedermann nachlesbar durch die Republik geschickt: Im Vergleich zu den Besuchsgeldern anderer baden-württembergischer Städte liegt die Achalmstadt in vielen Kategorien teils eklatant an der Spitze.

IW-Studie: Eklatante Unterschiede im Land

Zwischen null und mehr als 600 Euro im Monat: Eltern müssen je nach Wohnort unterschiedlich viel Geld für die Betreuung ihrer Kinder bezahlen, zeigt eine Untersuchung des Instituts der Deutschen Wirtschaft. Das IW hat dafür die Gebührenordnungen von 82 Großstädten bundesweit untersucht, neun davon in Baden-Württemberg: neben Reutlingen Stuttgart, Mannheim, Karlsruhe, Freiburg, Heidelberg, Ulm, Heilbronn und Pforzheim.
Im Landesvergleich belegt Reutlingen dabei in 5 von 15 genannten Einkommens- und Betreuungskategorien die Spitzenplätze – insbesondere bei der Betreuung von Kindern über drei Jahren. So müssen Reutlinger Eltern beispielsweise in der höchsten Einkommensstufe der Eltern (über 100.000 Euro Jahreseinkommen) bis zu 614 Euro pro Monat zahlen, wenn sie ihre Kinder für acht Stunden am Tag in die Kita bringen wollen. In Heilbronn ist diese Leistung kostenfrei. In Stuttgart zahlen Eltern je nach Einkommen bis zu 149 Euro im Monat.
In Ulm werden in der höchsten Einkommensstufe bis zu 360 Euro fällig (für die Berechnungen wurde eine Familie mit zwei Erwachsenen und einem Kind zugrunde gelegt). Auch mit unteren und mittleren Einkommen (bis 75.000 Euro) zahlen Reutlinger Eltern zumindest im Bereich der Betreuung der Über-Dreijährigen teils deutlich mehr als in den übrigen Städten. Lediglich im Bereich der Kleinkindbetreuung müssen sie im Vergleich teils weniger tief als andere in die Tasche greifen. (GEA)

Kinder unter drei Jahren und über drei Jahren kosten hier anders als in vielen anderen Städten gleich. »Ü3 subventioniert U3«, so Hahn: Damit sollen junge Familien mit geringerem Einkommen entlastet werden. Insbesondere im Bereich der Über-Dreijährigen belege man daher aber in verschiedenen Kategorien Spitzenplätze. »Das können wir nicht wegdiskutieren«, so Hahn.

Ein weiterer Grund für hohe Gebühren: Die Reutlinger haben die Besuchsgelder in den letzten Jahren – orientiert am Landesrichtsatz, aber dennoch regelmäßig – »nur in eine Richtung geschickt, und zwar nach oben«, sagt der Dezernent.

Hahn selbst hatte bei der letzten großen Debatte zum Thema vor einem guten Jahr sein Unbehagen über die hohen Gebühren kundgetan und beklagt, man bürde den Eltern »ein Päckle auf«. Mit der weiteren Spreizung der Besuchsgelder je nach Einkommen gab es große Verschiebungen. Es wurden insbesondere die höheren Einkommen mehr belastet – aber auch kleinere, räumt Hahn ein. Was dabei unterm Strich herauskommt, ist noch nicht absehbar, weil das neue Stufenmodell erst bei den neu betreuten Kindern angewandt wird.

»Die Leute machen sich falsche Vorstellungen, was wir mit dem Geld machen«

Die hohe Belastung der Eltern sei der schwierigen finanziellen Lage der Stadt geschuldet. Zudem ist Kinderbetreuung – immer – ein Zuschussgeschäft. »Die Leute machen sich falsche Vorstellungen, was wir mit dem Geld machen«, sagt Hahn. »Da gibt es nichts zu verteilen.« Die Einnahmen aus den Besuchsgeldern der Eltern liegen bei 6,1 Millionen Euro. Die Gesamtausgaben für die Kinderbetreuung hingegen bei satten 60,8 Millionen Euro. Das Defizit schießt die Stadt zu: Die Betreuung der Kinder ist damit der größte Posten im rund 480 Millionen Euro schweren städtischen Haushalt.

Die vergleichende Studie mache nun das Thema »in der ganzen Breite sichtbar«, sagt Hahn. »Ich stelle politische Bewegung fest.« Im Mai sollen die Gebühren daher auf die Tagesordnung des Gemeinderats gesetzt werden. Man werde sich mit der Höhe der Entgelte auseinandersetzen und dabei den »Spagat zwischen Finanzierungszwang und Weiterentwicklung der Reutlinger Familienpolitik« suchen.

Die politische Dimension des Themas ist dabei auch grenzübergreifend nicht zu verachten: Als »Ärgernis hoch drei« bezeichnet es Hahn, wenn sich Städte wie Berlin gebührenfreier Kinderbetreuung rühmen. »Das zahlen wir über den Länderfinanzausgleich.« Bereits im Rahmen der Haushaltsberatungen war das Thema im Herbst aufgepoppt, nachdem der Verwaltungsbürgermeister den Gemeinderäten Vergleichszahlen mit Stuttgart präsentiert hatte. Die Studie dürfte nun den Veränderungswillen beschleunigen.

»Ich stelle politische Bewegung fest«

Aus den Ratsfraktionen liegen Anträge und Prüfaufträge vor: Die FWV will beispielsweise die Gebühren »besser gestalten und auf jeden Fall niedriger«, sagt ihr Vorsitzender Jürgen Fuchs auf Nachfrage. Die Fraktion hat daher soeben beantragt, die Verwaltung möge aufzeigen, was mit der Beitragsfreiheit in der Kita-Betreuung in Reutlingen an Einnahmen wegfalle und was sie an Personal- und Sachkosten einspare.

Die SPD-Fraktion hat bereits Anfang Februar einen Antrag zur Kinderbetreuung gestellt, in dem sie unter anderen fordert, die Verwaltung möge »eine Veränderungsagenda für die Reduzierung der Elternbeiträge« unter anderem durch Verzicht auf Anpassungen an den Landesrichtsatz erarbeiten. Gebührenfreiheit sei ein Ideal für die Sozialdemokraten, so der Fraktionsvorsitzende Helmut Treutlein, allerdings nur mit hinreichender finanzieller Kompensation vonseiten des Landes. Warum hat man die Erhöhungspolitik mitgetragen? »Angesichts der Haushaltszwangslage greifen wir nach jedem Strohhalm«, erläutert er. Man habe allerdings schon während der Haushaltsberatungen einen Vorstoß der CDU unterstützt, die nächsten Gebührenerhöhungen (teilweise) auszusetzen. (GEA)