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Aktuell Prozess

Klimakleber in Reutlingen vor Gericht

Vier Klima-Aktivisten der »Letzten Generation« sind nach einer Straßenblockade am Hohbuchknoten in Reutlingen im März 2023 wegen Nötigung angeklagt. Der erste Prozesstag vor dem Amtsgericht endet überraschend.

Mahnwache vor Prozessbeginn gegen Mitglieder der »Letzten Generation« am Reutlinger Amtsgericht.
Mahnwache vor Prozessbeginn gegen Mitglieder der »Letzten Generation« am Reutlinger Amtsgericht. Foto: Stephan Zenke
Mahnwache vor Prozessbeginn gegen Mitglieder der »Letzten Generation« am Reutlinger Amtsgericht.
Foto: Stephan Zenke

REUTLINGEN. Selbst der gute Zweck, eine Klimakatastrophe zu verhindern, heiligt nicht das Mittel einer Straßenblockade. Vier Aktivisten der »Letzten Generation« müssen sich wegen gemeinschaftlicher Nötigung am Mittwoch vor dem Amtsgericht Reutlingen verantworten. Das Verfahren gegen den fünften Aktivisten wurde abgetrennt. Im März 2023 hatten sie im Hohbuchknoten den Straßenverkehr etwa 45 Minuten lang zum Erliegen gebracht. Einige der jetzt Angeklagten klebten damals ihre Hand auf dem Asphalt fest. Wieso es am ersten Prozesstag nicht zu einem Urteil kommt, beantwortet ein Blick auf die Uhr.

Vier Stunden lang zieht sich das Verfahren durch eine Vielzahl von Ansprachen der Angeklagten und ihrer Beistände. Schon während der Beweisaufnahme verlesen die jungen Menschen immer wieder seitenlange Erklärungen, aus welchen Gründen sie sich am Nachmittag des 10. März 2023 zu fünft an einer Ampel des Hohbuchknotens direkt hinter der Abfahrt der Bundesstraße B 28 in Richtung Stadtmitte hingesetzt haben.

Das hat damals für größeres Aufsehen gesorgt als jetzt die Mahnwache vor Prozessbeginn auf dem schmalen Bürgersteig beim Amtsgericht an der Gartenstraße. Ein kleines und freundlich auftretendes Polizeiaufgebot sorgt dafür, dass niemand dem Busverkehr auf der Gartenstraße gefährlich nahekommt. Die Sonne scheint, viele Menschen tragen orange Transparente mit Aufschriften wie »Kirchliche Solidarität mit Letzte Generation« oder handgemalten Pappschildern des Inhaltes »Klimaschützen ist kein Verbrechen«. Viele Beteiligte der etwa 30 Köpfe zählenden Solidaritätsversammlung kennen einander, umarmen sich herzlich. Die Stimmung ist entspannt.

»Menschen, die gewaltfrei für unsere Zukunft protestiert haben«

»Ich bin hier, um diese tollen Menschen zu unterstützen, die einfach absolut gewaltfrei für unsere Zukunft protestiert haben – und die so wie ich ganz verzweifelt sind, dass die bisherigen Protestmöglichkeiten nicht gewirkt haben«, sagt Verena Ludewig von den Parents for Future in Reutlingen. Einer der Angeklagten geht »zuversichtlich« in den Prozess. Er habe die »Hoffnung, dass wir eine ökologische Transformation hinbekommen«. Sein juristischer Beistand Mathias Ilka wünscht sich eine Verfahrenseinstellung oder eine »niedrigschwellige Geldstrafe«. »Ich gehe positiv in das Verfahren. Weil ich eine Chance zum Dialog sehe«, sagt eine angeklagte junge Frau. Zunächst jedoch beginnt der Prozess mit einem Monolog von Staatsanwalt Jan Vytlacil, der die Anklageschrift verliest: »Mehrfache gemeinschaftliche Nötigung«. Die Angeklagten haben dazu einiges zu sagen, verlesen Manuskripte.

Die Straßenblockade am Hohbuchknoten im März des vergangenen Jahres. Drei der Aktivisten hatten sich auf die Straße geklebt.
Die Straßenblockade am Hohbuchknoten im März des vergangenen Jahres. Drei der Aktivisten hatten sich auf die Straße geklebt. Foto: Stephan Zenke
Die Straßenblockade am Hohbuchknoten im März des vergangenen Jahres. Drei der Aktivisten hatten sich auf die Straße geklebt.
Foto: Stephan Zenke

Die Tatsache der Straßenblockade leugnet keiner. Alle bedanken sich auch bei den »freundlichen Polizisten«, entschuldigen sich bei den Autofahrern im kurzzeitigen Stau für die Unannehmlichkeiten, loben den Rechtsstaat und die Demokratie, »und dass uns zugehört wird«. Zur Begründung ihrer Aktion führen sie die drohende »erschreckende Klimakatastrophe an«. Es sei vor allem die »rasante Geschwindigkeit der Veränderung«, die das Leben aller Wesen auf dem Planeten sowie den Frieden gefährde.

Einer der Männer, die sich auf der Straße festgeklebt hatten, berichtet von seiner Jugend bei den Pfadfindern. Er habe schon früh gelernt, »die Natur und uns Menschen zu schützen«. Ehrenamtlich arbeite er als Rettungssanitäter bei einer Hilfsorganisation, »und wir bereiten uns auf klimabedingte Katastrophen vor«. Es handele sich bei den Aktionen der »Letzten Generation« um einen »friedlichen Protest für ein legitimes Anliegen an die Politik«. Denn wohin man auch schaue: Die Bundesregierung missachte ihre eigenen Beschlüsse zum Klimaschutz seit langer Zeit. »Eine Verwerflichkeit kann ich in meinem Protest nicht erkennen«, meint ein anderer junger Mensch hinter der Anklagebank. Schließlich laufe der Menschheit und dem Planeten die Zeit davon. »Wir drohen die Kipppunkte zu erreichen. Dann ist es zu spät, dann werden die Ökosysteme zusammenbrechen«, betont der Aktivist. Es gehe um maximale Aufmerksamkeit.

»Wir drohen die Kipppunkte zu erreichen. Dann ist es zu spät«

Im Rahmen der Beweisaufnahme werden Polizisten und eine Autofahrerin gehört, die im März des vergangenen Jahres am Hohbuchknoten gewesen sind. Womit letztlich geklärt wird, dass wohl mindestens 20 Autofahrer etwa 45 Minuten lang behindert worden sind. Alles sei, so die Zeugen, friedlich im strömenden Regen abgelaufen. In seinem Plädoyer fordert der Staatsanwalt 75 Tagessätze für jeden der Angeklagten, während die Verteidiger das als »wuchtig« bezeichnen, und Freisprüche fordern. Als dann einer der Angeklagten als »letztes Wort« 40 Minuten lang eine Rede verliest, vertagt Richter Eberhard Hausch das Verfahren aus Zeitgründen auf Freitag, 12. April, um 11 Uhr. (GEA)