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Missbrauch in Tübinger Psychiatrie? Schwierige Suche nach der Wahrheit

Ein angehender Psychotherapeut soll in Tübingen seine Patientin vergewaltigt haben. Sein Opfer leidet unter einer schweren Persönlichkeitsstörung. Das Schöffengericht ist auf der Suche nach der Wahrheit.

Das Landgericht in Tübingen.
Das Gerichtsgebäude in Tübingen. Foto: Ralf Rittgeroth
Das Gerichtsgebäude in Tübingen.
Foto: Ralf Rittgeroth

TÜBINGEN. Wo der Prozess am Ende hinführt, ist noch längst nicht klar. Angeklagt vor dem Tübinger Schöffengericht ist ein angehender Psychotherapeut, der im Oktober 2020 seine Patientin während einer Behandlung vergewaltigt haben soll. Dass er mit ihr ein sexuelles Verhältnis hatte, hat der 61-Jährige vor Gericht eingeräumt. Es sei aber eine »Liebesbeziehung« gewesen, meinte er am ersten Verhandlungstag. Viel mehr wollte er bisher noch nicht dazu sagen.

Es ist allerdings nicht einfach für das Schöffengericht, den wahren Sachverhalt des Geschehens und der Beziehung herauszufinden. Das Opfer leidet, wie jetzt die psychiatrische Sachverständige Dr. Ursula Gasch erklärte, unter einer schweren Persönlichkeitsstörung vom Typus Borderline mit histrionischen, narzisstischen und emotional instabilen Zügen. Ihre Aussagen sind deshalb möglicherweise nicht zuverlässig.

Was ist wahr und was nicht?

Zwar diagnostizierten frühere Therapeuten bei der 34-Jährigen auch eine posttraumatische Belastungsstörung. Doch die sei nicht zweifelsfrei nachgewiesen, so Gasch. So war im Prozess zum Beispiel die Rede davon, dass die Frau in ihrer Kindheit von ihrem Vater missbraucht und geschlagen worden sei. Auch erzählte sie, dass ihre Mutter der Prostitution nachgegangen sei. Doch dafür gibt es offenbar keine eindeutigen Belege.

Es gibt auch eine zweite Geschichte mit einem Therapeuten, bei dem sie in Behandlung war. Zu ihm hatte sie zweifellos ein enges Verhältnis, sie behauptete aber, sie habe auch eine sexuelle Beziehung mit ihm gehabt. Der Mann ist inzwischen verstorben. Seine Witwe betonte am Mittwoch vor Gericht, dass mit der sexuellen Beziehung stimme nicht.

Wie aussagetüchtig ist das Opfer?

Gasch berichtete zudem, dass durch die Borderline-Symptome die 34-Jährige einerseits impulsiv, emotional anpassungsfähig sei und versuche immer alles richtig zu machen, dass sie andererseits aber, wenn etwas nicht in ihrem Sinne verlaufe, sie »einen deutlichen Mangel an Empathie« besitze. Gasch nannte dies »eine soziale Interaktionsstörung«.

Die psychiatrische Sachverständige versucht nun mit ihrem Gutachten herauszufinden, wie aussagetüchtig die 34-Jährige ist und welche Qualität ihre Aussagen besitzen. Mit diesem Gutachten wurde Gasch allerdings am Mittwoch nicht fertig.

Prozess auf Ende April vertagt

Richter Benjamin Kehrer wollte zwar mit aller Macht den Prozess abschließen, aber am Ende ging ihm die Zeit aus. Nach der Kritik von Verteidigerin Dr. Birgit Scheja an der zeitlichen Länge der Verhandlung und der Ansage Gaschs, dass sie noch über zwei Stunden für ihr Gutachten brauche, wäre der Prozess mit Plädoyers und Urteil möglicherweise bis weit in die Nachstunden hineingegangen. Kehrer hatte deshalb ein Einsehen und vertagte den Prozess auf den 26. April.

Ein wichtiger Knackpunkt in dem Prozess ist die Frage: Gab es den sexuellen Kontakt zwischen dem Arzt, der zu dem Zeitpunkt eine Fachausbildung zum Psychotherapeuten machte, und der 34-Jährigen während der noch laufenden Therapie, wofür einiges spricht oder war die Therapie bereits beendet und die beiden haben sich privat zum Sex (allerdings auch im Arztzimmer des Angeklagten in der Uni-Klinik) verabredet? In ersten Fall wäre es strafbar, im zweiten eher nicht. (GEA)

Im Gerichtssaal

Richter: Benjamin Kehrer. Schöffen: Marco-Jan Götz, Stefan Schmeckenbecher. Staatsanwalt Markus Wagner. Verteidigerin: Dr. Birgit Scheja. Nebenklagevertreter: Dr. Christian Laue. Gutachterin: Dr. Ursula Gasch.