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Reutlinger Kinder glauben an den Nikolaus

Welcher Mann sich hinter dem roten Bischofsgewand auf dem Reutlinger Weihnachtsmarkt verbirgt und was so bewegend für ihn ist.

Der Nikolaus alias Harald Goebel verzaubert vor dem Reutlinger Naturkundemuseum die kleinsten Besucher des Weihnachtsmarktes.  F
Der Nikolaus alias Harald Goebel verzaubert vor dem Reutlinger Naturkundemuseum die kleinsten Besucher des Weihnachtsmarktes. Foto: Stephan Zenke
Der Nikolaus alias Harald Goebel verzaubert vor dem Reutlinger Naturkundemuseum die kleinsten Besucher des Weihnachtsmarktes.
Foto: Stephan Zenke

REUTLINGEN. Wenn der Nikolaus kommt, breitet sich ein zeitloser Zauber auf dem Reutlinger Weihnachtsmarkt aus. Etwas schüchtern, aber vollkommen fasziniert bestaunen Kinder die Gestalt im roten Gewand mit Bischofsmütze. Auf den Gesichtern ihrer Mütter breitet sich ein sanftes Lächeln aus. Alles so wie seit Generationen. Natürlich wissen die Erwachsenen, dass diese Gestalt vor dem Naturkundemuseum keinesfalls der heilige Nikolaus von Myra ist, aber darauf kommt es nicht an.

Es ist der Glauben, der den Mann auf dem Holzstuhl dazu bringt, hier in der Kälte Kinderherzen zu erwärmen. »Großes Gottvertrauen, Liebe und Menschlichkeit«, beschreibt Harald Goebel seine Gefühle in der Nikolaus-Rolle. Jenseits der Weihnachtszeit arbeitet der 60-Jährige als Softwarearchitekt und IT-Berater beispielsweise für Unternehmen wie Banken, die eher an Geld als an das Jesuskind glauben. Im Gegensatz zu seinem historischen Vorbild, der im 4. Jahrhundert als Bischof von Myra in der heute zur Türkei gehörenden kleinasiatischen Region Lykien gewirkt haben soll, wohnt Goebel in Kusterdingen. Doch seine geistige Heimat ist das Christliche Zentrum Reutlingen, wo ihn die Anfrage erreicht, als Nikolaus aufzutreten. Der Laienschauspieler des christlichen Projektes »Theater zum Einsteigen« sagt gerne zu. Gestellt werden von der Gemeinde ein prächtiges Gewand mit goldenen Verzierungen, die traditionelle Stola sowie der Bischofshut inklusive eines weißen Priestergewandes. Dazu kommt der Hirtenstab mit einem Glöckchen. Wobei er niemals läuten muss, um die ungeteilte Aufmerksamkeit der Menge zu gewinnen.

Darstellung des Nikolaus von Myra (Ikone von Alexa Petrow, 1294, Museum Nowgorod). FOTO: WIKIPEDIA, GEMEINFREI
Darstellung des Nikolaus von Myra (Ikone von Alexa Petrow, 1294, Museum Nowgorod). Foto: Wikipedia (gemeinfrei)
Darstellung des Nikolaus von Myra (Ikone von Alexa Petrow, 1294, Museum Nowgorod).
Foto: Wikipedia (gemeinfrei)

»Ich schaue in leuchtende und wache Kinderaugen«, sagt Goebel. Dann klappt er seinen Aktenordner auf und liest jeden Abend eine andere Weihnachtsgeschichte vor. Die mutigsten der Jungs und Mädchen im Kindergartenalter kommen jetzt ganz vorsichtig näher, schauen dabei immer wieder zu ihren Müttern, betrachten diesen merkwürdigen Mann mit weißem Bart unter der Mütze mit kindlicher Faszination. Der Eindruck trügt nicht.

»Für die Kinder bin ich tatsächlich ein heiliger Mann«

»Ich denke, die Kinder glauben mir den Nikolaus. Sie haben eine gewisse Ehrfurcht. Für sie bin ich tatsächlich ein heiliger Mann«, sagt der Nikolaus. Wobei er aber nicht wisse, »ob ich eventuell für den Weihnachtsmann gehalten werde«. Vielleicht liegt es daran, dass er ohne Knecht Ruprecht auftritt. Denn der Gehilfe soll dem Vernehmen nach unartige kleine Herrschaften maßregeln. Goebel dagegen tadelt niemals, hat auch keine Rute dabei, sondern nur kleine Geschenke im Jutesack. Bei jedem Auftritt gibt es neue Überraschungen.

Kleinigkeiten, gespendet von Reutlinger Firmen. Mal handelt es sich um Kartenspiele, es können aber auch Schlüsselanhänger oder Holz-Steckspiele im Sack sein. Der Nikolaus verteilt an alle etwas, die zu ihm kommen. Spätestens jetzt ist jegliche Scheu verflogen, wird er umzingelt. »Die Kinder sagen selten etwas. Für sie ist beschenkt zu werden an sich das Wichtigste«, hat Goebel beobachtet. Er denkt jedoch, »es ist auch für die Erwachsenen interessant«. Bei Müttern und Vätern vermutet er »Sentimentalität, gepaart mit Interesse an spirituellen Dingen«. Klar, wer würde nicht gerne nochmals jung genug sein, um an den Nikolaus zu glauben? Diese Gefühle lassen sich in den kommenden Tagen noch mehrfach auffrischen. Auch am heutigen Dienstagabend wird der Nikolaus wieder um 17 Uhr vor dem Reutlinge Naturkundemuseum auftreten. Danach noch insgesamt neun Mal. Und stets werden dabei unvergessliche Erinnerungsfotos ganz modern gemacht. Mütter stellen ihre Kinder neben den heiligen Mann, zücken das Mobiltelefon und sind entzückt dabei. »Ich glaube, der Bischof hätte sich auch mit dem Smartphone fotografieren lassen – weil er zeitlos ist«, schmunzelt Goebel dabei. (GEA)