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Studie der Uniklinik Tübingen: Diät-Limo macht dick

Süßstoff steckt in vielen Lebensmitteln. Er hat zwar keine Kalorien. Aber er weckt Hunger und animiert zum Essen. Das zeigt eine Studie der Uniklinik Tübingen.

Spaßig, aber ungesund: Fernsehen, Fast Food und Softdrinks mit Süßstoff.
Spaßig, aber ungesund: Fernsehen, Fast Food und Softdrinks mit Süßstoff. Foto: Alfa27/Adobe Stock
Spaßig, aber ungesund: Fernsehen, Fast Food und Softdrinks mit Süßstoff.
Foto: Alfa27/Adobe Stock

TÜBINGEN. Coke Zero, Philadelphia Light, Wrigley’s ohne Kalorien: Wer schlank werden oder bleiben will, der verzichtet auf Zucker und greift zu Süßstoff. Das verspricht die Lebensmittelindustrie. Zu Unrecht, wie jetzt eine wissenschaftliche Studie mit Beteiligung des Universitätsklinikums Tübingen zeigt. Das Ergebnis ist ernüchternd: Diät-Produkte machen nicht dünn, sondern dick.

Im Supermarkt stapeln sich Produkte, die mit wenig Zucker oder Fett werben. Wo Balance, Zero und Diät draufsteht, steckt Süßstoff drin. Bei Limonade ist er gängig. Kein Kaugummi kommt ohne ihn aus. Fettreduzierter Brotaufstrich verdankt ihm den Geschmack. Jedes Fertiggericht arbeitet damit – selbst ein herzhaftes wie Pizza. Der Verbraucher kommt kaum vorbei an Süßstoff – zumal er sich versteckt.

Süßstoff verspricht Genuss ohne Reue

Verdächtig in der Zutatenliste sind E-Nummern. Sie kennzeichnen Zusätze zu Lebensmitteln. Dazu gehören auch Süßstoffe. In der EU sind zwölf Substanzen zugelassen. Einige sind künstlich wie Acesulfam, Aspartam und Saccharin. Andere sind pflanzlich wie Neohesperidin, Stevia und Thaumatin. Die Stoffe werden meist gemischt, etwa um bitteren Beigeschmack zu neutralisieren.

Der Markt für Süßstoff ist lukrativ. Für Deutschland rechnet die Statistik-Plattform Statista im Jahr 2025 mit einem Umsatz von 134 Millionen Euro. Und es soll noch besser werden: Im Jahr 2030 wird ein Marktvolumen von 163 Millionen Euro erwartet, das entspricht einem Zuwachs von 4 Prozent pro Jahr.

Jeder zweite greift täglich zu Süßstoff

Der Markt wird getrieben von der Nachfrage. Jeder zweite greift täglich zu Süßstoff. Das ergibt eine Umfrage des Süßstoff-Verbands aus dem Jahr 2023 unter 3.000 Teilnehmern in Deutschland, Österreich und Schweiz. Als Grund wird gemeinhin ein gestiegenes Gesundheitsbewusstsein angeführt, das Wert legt auf kalorienarme Ernährung. Eine Rolle spielen aber auch lebensstilbedingte Krankheiten wie Übergewicht und Diabetes. Hier verheißt Süßstoff Genuss ohne Reue.

Zu Unrecht, wie eine neue Studie jetzt beweist. Ein internationales Team von Medizinern hat die Wirkung von Süßstoff auf Gehirn und Körper des Menschen untersucht. Das Universitätsklinikum Tübingen war beteiligt, die Universität von Südkalifornien in Los Angeles übernahm die Leitung. Bei dem Experiment verzehrten 75 Teilnehmer den Süßstoff Sucralose. Blutzucker, Hungergefühl und Hirnaktivität wurden vorher und nachher gemessen.

Süßstoff macht hungrig

Mit widersprüchlichem Ergebnis: Der Zuckerspiegel im Blut stieg nicht an. Das war zu erwarten, denn Sucralose hat keine Kalorien. Das macht Süßstoff – angeblich – geeignet für Menschen mit Diabetes, bei denen der Zucker-Stoffwechsel aus dem Gleichgewicht geraten ist. Trotzdem berichteten die Probanden von stärkerem Appetit. Das überraschte, denn Sucralose verfügt über keine Nährstoffe und sollte darum keinen Effekt auf den Körper haben.

Doch das subjektive Empfinden lag richtig. Objektive Daten lieferten den Beleg: Die Forscher scannten das Gehirn der Probanden mit einem funktionellen Magnetresonanztomografen. Das Gerät macht den Blutfluss im Gehirn sichtbar. Wo viel Blut ist, da ist viel Aktivität. Besonders rege unter dem Einfluss von Sucralose verhielt sich der Hypothalamus. Das Hirnareal ist eine wichtige Schaltzentrale, es reguliert unter anderem die Nahrungsaufnahme: Bei Kalorienmangel meldet es Hunger, bei Kalorienzufuhr Sättigung. Soweit, so normal. Doch Sucralose hat keine Kalorien, nur Süße. Zu erwarten war also: nichts. Trotzdem reagierte der Hypothalamus und meldete Hunger. Die Aktivität verblüffte das Studienteam – auch Stephanie Kullmann. Die Professorin forscht am Universitätsklinikum Tübingen zu Übergewicht und Diabetes. Sie will wissen, wie bei Stoffwechselkrankheiten Körper und Gehirn zusammenspielen.

Menschen mit Übergewicht besonders betroffen

Die Hirnreaktion auf Süßstoff erklärt Kullmann mit enttäuschter Erwartung: »Der Hypothalamus registriert nicht nur Kalorien, sondern auch Süße«, sagt sie. Denn er verfügt – genauso wie die Zunge – über Geschmacksrezeptoren. Im Laufe der Evolution hat der Hypothalamus gelernt, dass Süße und Kalorien zusammengehören – wie bei Obst, Milch und Schokolade. Nicht jedoch bei Sucralose: »Süße ohne Kalorien verwirrt den Hypothalamus«, vermutet Kullmann. »Denn beides passt nicht zusammen.« Süße verspricht Kalorien. Wenn sie ausbleiben, dann werden sie eingefordert. Dafür sorgt der Hypothalamus: Er signalisiert Hunger und regt zum Essen an.

Besonders ausgeprägt ist die Reaktion bei Menschen mit starkem Übergewicht: Von Softdrinks mit Süßstoff bekommen sie großen Hunger. Woran das liegt, ist noch nicht klar. Kullmann vermutet jedoch, dass hier zwei Dinge zusammenkommen. Zum einen der Lerneffekt: »Betroffene haben womöglich in der Vergangenheit viele Süßstoff-Produkte konsumiert und das Gehirn hat die Hunger-Reaktion geübt.« Zum anderen der gestörte Stoffwechsel: »Betroffene reagieren schwach auf Sättigungshormone.«

Werbung der Lebensmittelindustrie ist irreführend

Damit straft die Studie die Lebensmittelindustrie Lügen: Sucralose hat zwar keine Kalorien und macht nicht direkt dick. Aber indirekt, indem es den Appetit anregt und zum Essen antreibt. Diese Wirkung ist nicht nur für Sucralose belegt, auch bei anderen künstlichen Süßstoffen gibt es entsprechende Hinweise.

Wer also auf seine Figur achten, Diabetes vorbeugen oder in Schach halten will, der macht sich das Leben mit Süßstoff nicht leichter. Im Gegenteil: Der Verzicht auf Zucker wird schwerer – ebenso wie der eigene Körper auf der Waage. (GEA)