REUTLINGEN. Ist der Sozialstaat in Not? Darüber diskutierten in der Talkrunde von Maybrit Illner am Donnerstagabend Paul Ziemiak (CDU), Philipp Türmer (SPD), VdK-Präsidentin Verena Bentele, Chefredakteurin des RND Eva Quadbeck, (RND) und Tübingens OB Boris Palmer. Dieser äußerte seine klare Meinung über:
Bürgergeld-Probleme und Ukraine-Flüchtlinge
Hier sieht Palmer zwei konkrete Probleme: Die starke Erhöhung des Regelsatzes habe zur teilweisen Verletzung des Lohnabstandsgebots geführt. Das stifte Unfrieden. Dazu kritisiert er, dass bei Menschen, die über das Asylrecht ins Land gekommen sind, die Bemessung des Bürgergelds zu großzügig sei. Beispielhaft nennt er eine vierköpfige Familie in Tübingen, die 3.200 Euro Wohnunterstützung erhalten kann. Flüchtlinge fänden nur schwer einen Job, der netto diesen Betrag erwirtschaften würde und daher gehen sie nicht arbeiten. Palmer warnt aber davor, das Bürgergeld als alleinigen Grund für die Finanzprobleme des Bundes darzustellen. Bei Sanktionen für Arbeitsverweigerer - oder bei Einstellen der Arbeit - begrüßt er ein abgestuftes System.
Besteuerung der Vermögenden
»Die Kommunalfinanzen fahren mit hoher Geschwindigkeit gegen die Wand«, sagt er. Deshalb wurde in Tübingen ein umfangreiches Sparpaket beschlossen. Das ziele aber nicht nur auf die Vermögenden ab: »Alle müssen bluten.« Deutliche Steuererhöhungen in Höhe von 25 Prozent durch Grund- und Gewerbesteuer, aber auch die Streichung von 60 Verwaltungsstellen und Sparmaßnahmen am ÖPNV sind beschlossen. Allerdings: Diese Anstrengungen werden nicht ausreichen, so Palmer. »In Tübingen stieg der Anteil der Sozialleistungen an der Steuerkraft von 25 auf 40 Prozent in nur drei Jahren«, sagt er. Palmer fordert daher zwei Entscheidungen, die nur zusammen funktionieren könnten: Kostensenkungen im Sozialbereich, aber auch Verbesserung der Einnahmen. Hier sieht er vor allem Potenzial bei einer Gruppe: »Die Vermögenden müssen mehr beitragen.«
Wirtschaftliche Lage von Deutschland
Palmer wird deutlich. Es sei klar: »Wir werden alle weniger Netto in der Tasche haben, um wieder wettbewerbsfähig zu werden.« Das Land befinde sich in der »schlimmsten Situation seit Gründung der Bundesrepublik«, wie OB Palmer den Städtetagspräsidenten Dr. Frank Mentrup zitiert. Palmer fehle das Problembewusstsein und die Ernsthaftigkeit in der Politik. »Deswegen sind auch die Maßnahmen bisher noch zu schwach.«
Zur Asylpolitik der CDU
Auf Illners Frage, wann sich die härtere Asylpolitik der CDU in den Kommunen auswirke, entgegnet Palmer: »In Zugangszahlen wirkt sich das sofort aus, aber die spürt der Bürger nicht.« Wenn die Zuwanderungszahlen die nächsten zwei Jahre aber konstant niedrig blieben, »dann würde man auch einen Effekt sehen, der Druck in der Öffentlichkeit kleiner werden und die Menschen wären zufriedener.«
Allerdings gibt er gleich zu bedenken, dass nach der Flüchtlingskrise mit der finanziellen Schieflage der Kommunen die nächste Herausforderung anstehe. »Wenn Kommunen, alles, was den Menschen wichtig ist, schließen, verteuern, verschlechtern, dann entsteht eine Stimmung, die einem Sorgen machen muss.« Kommunen seien der Kern der Demokratie. »Und ihnen geht die Luft aus.« (GEA)