EVENTS

Logo
Aktuell Verkehr

Votum: Regional-Stadtbahn soll auf Reutlinger Gartenstraße fahren

Der Reutlinger Gemeinderat hat sich für die Trassenführungen der Regional-Stadtbahn im Stadtgebiet entschieden. Die Innenstadt-Strecke soll über die Gartenstraße gehen. Für wenige Minuten wurde es nochmal spannend.

Shared Space: Wenn die Stadtbahn auf der Gartenstraße fahren sollte, wird sie sich dort den Straßenraum mit Bussen und einzelnen
Shared Space: Wenn die Stadtbahn auf der Gartenstraße fahren sollte, wird sie sich dort den Straßenraum mit Bussen und einzelnen Autos teilen. Foto: Grafik: Zweckverband
Shared Space: Wenn die Stadtbahn auf der Gartenstraße fahren sollte, wird sie sich dort den Straßenraum mit Bussen und einzelnen Autos teilen.
Foto: Grafik: Zweckverband

REUTLINGEN. Die Regional-Stadtbahn Neckar-Alb soll über die Gartenstraße durch die Reutlinger City rollen. Das hat der Reutlinger Gemeinderat ist seiner jüngsten Sitzung mehrheitlich beschlossen. Zuvor kam jedoch nochmal richtig Spannung im großen Sitzungsaal auf: Der CDU-Antrag, auch über die Alte Honauer Bahntrasse abzustimmen, fand mehr Gefallen, als so mancher vermutet hätte. 18 Hände gingen hoch bei CDU, AfD und WiR, auch FWV-Rätin Jenny Winter-Stojanovic.

24 Rätinnen und Räte, dazu OB Keck, stimmten danach für die Gartenstraße und auch die übrigen Vorschläge der Verwaltung fanden Mehrheiten: Die Gomaringer Spange wird auf der alten Bahntrasse geführt. Nur zwischen den Haltepunkten Markwiesenstraße und Ohmenhausen Ortseingang soll in der weiteren Planung die Trasse entlang der Landesstraße als Vorzugsvariante behandelt werden. Die Stimmen von SPD, Grünen, Linken und FDP-Rat Hagen Kluck reichten nicht aus für den Antrag, auf der Ortsdurchfahrt durch Ohmenhausen zweigleisig zu fahren. Es bleibt bei der vorgeschlagenen eingleisigen Ausführung.

» Eine solide Finanzplanung ist schwierig«

Die CDU-Fraktion hatte nach Worten der Fraktionsvorsitzenden Gabriele Gaiser bis zuletzt besonders gerungen um ihr Meinungsbild, was sich in einem uneinheitlichen Abstimmungsverhalten niederschlug. Die weitreichenden finanziellen Verpflichtungen des Projekts und eine Abstimmung, bevor Stadt- und Kreishaushalt in trockenen Tüchern sind, machen den Christdemokraten Bauchschmerzen. Insbesondere angesichts einer nie dagewesenen Krise der kommunalen Finanzen. Wenn schon Trasse, dann Honauer Bahn: Letztlich sprach sich die Mehrheit der CDU-Räte für die innenstadtferne Variante aus, auch um den Autoverkehr auf Lederstraße/Am Echazufer nicht zu behindern und um keine übermäßige Beeinträchtigung durch eine - rund zwei Jahre währende - Großbaustelle in der Innenstadt zu erzeugen.

»Wir sehen die Vorteile der Stadtbahn und sind nicht grundsätzlich dagegen«, beteuerte der Vorsitzende der AfD-Fraktion, Hansjörg Schrade. Auch die AfD stört sich vor allem an den Kosten. Knapp 50 Millionen Euro Investitionen für die Stadt, weitere 38 Millionen über die Kreisbeteiligung sowie jährliche Folgekosten von bis zu 14 Millionen Euro sind der AfD zuviel, zumal es sich nicht, wie Schrade einmal mehr beteuerte, um eine »Pflichtaufgabe« handele. Man sehe unwägbare Risiken, findet auch die AfD, die erfolglos die Vertagung des Trassenentscheids hinter den Beschluss des Haushalts beantragte.

»Eine Innenstadtbahn ist nicht die Zukunft der Mobilität«: Der WiR-Fraktionsvorsitzende Professor Dr. Jürgen Straub ist der wohl entschiedenste Gegner des Regional-Stadtbahn-Konzepts. Er bezeichnete das System als »überholt«, sieht Zukunftsmusik eher im autonomen Fahren. Wenn schon Trasse, dann Honauer Bahn, so auch das WiR-Votum. Straub forderte sie abgespeckt, mit nur einem Halt, um zügig voranzukommen durch die City.

»Jedes einzelne Projekt hat die prognostizierten Fahrgastzahlen übertroffen«

Ohne Wenn und Aber stimmten die Grünen und Unabhängigen für die Gartenstraße. Jaron Immer richtete den Blick auf den Erfolg von Stadtbahnen in anderen Städten: »Jedes einzelne Projekt hat die prognostizierten Fahrgastzahlen übertroffen.« Der Nutzen für die Innenstadtentwicklung steht für ihn außer Frage: Reutlingen sei der einzige große Einzelhandelsschwerpunkt im Stadtbahn-Netz.

Am Lindachknoten gen Gartenstraße: Die Visualisierung zeigt den Albtorplatz mit Stadtbahn.
Am Lindachknoten gen Gartenstraße: Die Visualisierung zeigt den Albtorplatz mit Stadtbahn. Foto: Zweckverband
Am Lindachknoten gen Gartenstraße: Die Visualisierung zeigt den Albtorplatz mit Stadtbahn.
Foto: Zweckverband

Auch die FWV stimmte für die Gartenstraße. Fraktionschef Georg Leitenberger räumte ein, dass das »Herz« der Fraktion weiter für die Lederstraße schlage, aber der »Verstand« nach Vorlage der Fakten anderes entscheiden müsse. Die Gartenstraße sei die billigste mit dem besten Nutzen-Kosten-Index, füge sich besser ein, erfordere keine riesigen Bauwerke und keine Abrisse. Finanzierungssorgen treiben Leitenberger nicht allzu sehr um. »Die Kosten sind steuerbar«, so seine Einschätzung.

Die Gartenstraße im Vergleich

Kurz vorm Finish hat die Gartenstraße den früheren Favoriten von Verwaltung und Gemeinderat, die Lederstraße, noch überholt: Die zweite Standardisierte Bewertung mischte die Karten neu. Beim Nutzen-Kosten-Index (1,20) machte die Gartenstraße vor Honauer Bahn (1,17) und Lederstraße (1,07) das Rennen. Sie ist die kürzeste Verbindung zwischen Haupt- und Südbahnhof (4,7 Kilometer), wenn auch mit der längsten Fahrzeit (7.50 Minuten). Beim Fahrgastpotenzial liegt die Gartenstraße im Mittelfeld (31.000 Personen täglich). Mit gut 140 Millionen Euro Baukosten ist sie die mit Abstand günstigste Option – auch in Bezug auf die Folgekosten. Knapp 20 Millionen Euro müsste die Stadt für ihren Anteil am Trassenbau und für ergänzende Baumaßnahmen aufbringen. Bei der komplexen Ausschleifung am Bahnhof ist sie die am wenigsten invasive Variante. Auch der Listplatz bliebe erhalten. (igl)

Auch die SDP ist vom früheren Favoriten Lederstraße abgerückt und votierte für die Gartenstraße. Kosten und technische Unwägbarkeiten insbesondere bei der Einschleifung der Lederstraßentrasse am Bahnhof haben auch die Sozialdemokraten überzeugt. Der Fraktionsvorsitzende Helmut Treutlein hielt nochmals ein flammendes Plädoyer für die Stadtbahn insgesamt und kehrte als dessen besondere Funktion hervor: »Das ist auch ein soziales, inklusives Projekt. Jeder kann teilhaben.« SPD-Herzenswunsch auch: dass die Bahn zeitnah in den Reutlinger Nordraum gelegt wird.

»Eine wunderbare zukunftsfähige Lösung«

"Wenn einem das Wasser bis zum Hals steht, sollte man den Kopf nicht hängen lassen." Timo Widmaier forderte für die Fraktionsgemeinschaft Linke/Partei zur Gartenstraße Tatkraft gerade in schweren Zeiten. "Wir wollen doch nicht die sein, die abwickeln und das Licht ausmachen." Die Gartenstraße ist für die Linken »Eine wunderbare zukunftsfähige Lösung«. Das Stadtbahnprojekt an sich "eine Chance für Stadt und Region".

Regine Vohrer (FDP) räumte nach Widmaiers Redebeitrag lachend seltene Einmütigkeit mit Linken-Positionen ein. Die FDP beugt sich auch der Macht des Faktischen: »Seit 2004 sind wir auf dem Weg. Es wäre nicht so klug, das jetzt zu kippen.« Ein Ja für die Gartenstraße ist das Ergebnis. »Machen wir was für die Zukunft.«

»Gehen wir den Weg mutig weiter«

Oberbürgermeister Thomas Keck zeigte sich erleichtert nach dem knappen Beschluss. Weitere Verzögerung wäre nicht nur nicht zielführend gewesen, beteuerte er: Die »Überschreitung des Leistungszeitraums« wäre unter anderem mit zusätzlichen Kosten für die beteiligten Ingenieurbüros verbunden. Finanzbürgermeister Roland Wintzen erläuterte, dass die Koppelung des Trassen- an den Haushaltsentscheid nicht sinnvoll gewesen wäre. Je nach ausgewählter Trasse würden ja andere Kosten aufgerufen. Über Komplettablehnung des Projekts nachzusinnen, sei zu spät. Zahlen müsse die Stadt dann trotzdem, ohne Nutzen zu haben. »Wir sind ja Teil eines größeren Systems«. Das Gebot der Stunde laute jetzt: »Den Weg mutig weitergehen.« (GEA)