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Was tut sich auf Reutlingens Großbaustellen?

Warum trotz Wohnungs- und Gewerbeflächenmangel markante Flächen und leerstehende Gebäude in Reutlingen (noch) nicht genutzt werden.

Nach Turbulenzen geht es weiter: Katharinenhof.
Nach Turbulenzen geht es weiter: Katharinenhof. Foto: Fotos: Pieth
Nach Turbulenzen geht es weiter: Katharinenhof.
Foto: Fotos: Pieth

REUTLINGEN. 4.500 Interessierte auf der Warteliste der Reutlinger Wohnungsgesellschaft GWG. Eine klamme Stadtkasse auch durch notorische Gewerbesteuerschwäche: Die Stadt Reutlingen braucht Raum für Wohnungen und Gewerbe und die eine oder andere Freifläche. Zugleich soll der Flächenverbrauch minimiert werden insbesondere im Außenbereich. Der GEA wirft einen Blick auf markante Spielräume, Leerstände und brachliegende Flächen – auf Leuchtturmprojekte, bei denen es gefühlt oder tatsächlich nicht vorangeht. Stadtplanung brauche »langen Atem«, sagen Stefan Dvorak, Leiter der Stadtentwicklung, und Peter Wilke, Amtsleiter Wirtschaft und Immobilien, und Geschäftsführer der städtischen Tochtergesellschaft Gewerbeimmobilien Reutlingens (GER) – und wünschen sich bessere Steuerungsmöglichkeiten für die Stadt.

Katharinenhof Altstadt

2017 wird das Kali-Kino abgerissen, um einem Leuchtturmprojekt in der Altstadt Platz machen: Wenige Meter vom Marktplatz entfernt entstehen 31 Wohnungen nebst Gewerbeeinheit. Umso größer ist der Schreck, als im Dezember 2022 ruchbar wird, dass von der Insolvenz der Tübinger Unternehmensgruppe Exklusiv Wohnwert auch das Projekt Katharinenhof betroffen ist. Auch Lebensmitteleinzelhändler Tegut (Fulda) springt ab. Auf dem Bau kehrt Ruhe ein.

Innen brummt’s, die Außengestaltung kommt später: Bosch-Areal.
Innen brummt’s, die Außengestaltung kommt später: Bosch-Areal. Foto: fop
Innen brummt’s, die Außengestaltung kommt später: Bosch-Areal.
Foto: fop

Unterdessen wird wieder gehämmert und gezimmert. Aufs private Bauvorhaben hat die Stadt keinen Einfluss. Doch Stefan Dvorak und Peter Wilke geben sich »zuversichtlich«, dass das Vorhaben vollendet wird – auch ein neuer Lebensmittler einzieht.

Insolvenzverwalter Dr. Axel Kulas wagt dem GEA gegenüber eine vorsichtige Schätzung: »Fertigstellung bis Ende des Jahres.« Der insolvente Bauträger sei draußen. Der Stuttgarter Anwalt führt den Bau mit der Merkur Privatbank (München) und den Erwerbern fort. »Es erfreuliches Zusammenwirken. Wir sind mit Vollgas unterwegs.« Fast alle Wohnungserwerber sind bei der Stange geblieben. »Blaues Auge, kein Genickbruch«, so Kulas’ vorsichtige Bilanz. Man wisse allerdings noch nicht genau, wie hoch der Schaden ist.

Masterplan Bosch Tübinger Straße

»Eine historische Chance«, schwärmte Oberbürgermeister Thomas Keck seinerzeit: Bei der Veröffentlichung des Projekts vor zwei Jahren kannte die Begeisterung im Rathaus keine Grenzen. Eine gedeihliche Kooperation von Robert Bosch GmbH und Stadt soll rund ums Firmengelände an der Tübingerstraße Stadtentwicklung generieren: mit Renaturierung, Verkehrsberuhigung und mehr Durchlässigkeit des dominanten Firmenareals.

Wartet auf die Vision:  Ernst-Wagner-Areal.
Wartet auf die Vision: Ernst-Wagner-Areal.
Wartet auf die Vision: Ernst-Wagner-Areal.

Die Veränderung hinter den Bauzäunen ist wahrnehmbar. Doch davor tut sich nichts. »Der Masterplan Bosch ist ein sehr präsentes Thema für uns«, beteuert Dvorak. »Wir haben regelmäßige Jours fixes mit der Firma.« Das neue Wafer-Werk sei der erste Schritt im Masterplan. Man erstelle die Grundlage für weitere Schritte und werde in diesem Jahrzehnt in die Planung einsteigen. »2039 wird das eine der Bundesgartenschauflächen sein.« Einer der nächsten Schritte soll in den kommenden Jahren die Umgestaltung der Tübinger Straße zum Shared Space sein.

Das Unternehmen selbst gibt sich gewohnt zugeknöpft: Für Bosch stehe derzeit die Baumaßnahmen zur Erweiterung der Halbleiterproduktion im Fokus, heißt es auf schriftliche Anfrage. Hinsichtlich des Masterplans sei man »im regelmäßigen Austausch mit Vertretern der Stadt«. Bevor Ideen planerisch ausgearbeitet würden, seien noch innerbetriebliche Entscheidungen zu treffen. Die GEA-Bitte nach einer Baustellenbesichtigung wird nicht erfüllt.

Wagner-Buckel

Auf dem Wagner-Buckel liegen gleich zwei Firmen-Areale in privater Hand, die Spielräume für Stadtentwicklung böten: die Gustav-Wagner-Fabrik und das Ernst-Wagner-Areal im Zwickel zwischen Rommelsbacher und St.-Peter-Straße. Eine »Vision« sollte in Zusammenarbeit mit der Stadt erarbeitet werden. Das Projekt »Neues Leben für die ehemaligen Wagner-Fabriken« legte jedoch die Pandemie wieder auf Eis. Was draus geworden ist? »Gut Ding will Weile haben«, schreibt Eigentümer Martin Bidell, Geschäftsführer der FAC-Vermögensverwaltung Gmbh, auf Anfrage zurück und verweist »höflich an die Verantwortlichen der Stadt Reutlingen«.

Hier könnten 80 Wohnungen stehen.
Hier könnten 80 Wohnungen stehen.
Hier könnten 80 Wohnungen stehen.

»Wir sind eng miteinander«, betont Planer Dvorak. Seit 2023 sei man wieder im Gespräch. Es gebe Überlegungen des Eigentümers, das Areal weiterzuentwickeln und »viele spannende« Ideen, sagt Peter Wilke, ohne sie näher auszuführen. Die Marschlinie heißt: So viel wie möglich von der alten Substanz und die industrielle/gewerbliche Nutzung erhalten. Das Thema Wohnen ist aus dem Fokus geraten. Umnutzung ist auch gar kein Thema mehr: In der Gustav-Wagner-Fabrik sei schon jetzt »neues Leben drin«, schwärmt der Stadtplaner. 36 Rockbands proben dort. Dazu Handwerker, Gewerbetreibende: »Das hat sich toll entwickelt.« Eine Stadt von der Größe Reutlingens brauche solche Areale mit Angeboten zu günstigen Konditionen. Wenn kein Privater das übernimmt, müsste die Stadt das tun, findet Wirtschaftsförderer Wilke.

Wagner-Buckel (2)

Östlich der Gustav-Wagner-Straße liegt der Teil des Gustav-Wagner-Areals, der im Besitz der Firma Dr. Rall Immobilien ist. Nach dem Abriss der Gebäude Anfang 2022 liegen rund 10.000 Quadratmeter Fläche weitgehend brach, dienen zum Abstellen von Autos. Für einen Teil des Grundstücks hat Rall laut Stefan Dvorak bereits vor »vielen Jahren« eine Baugenehmigung für sieben Stadtvillen mit 80 bis 90 Wohnungen bekommen. »Wir haben unsere Hausaufgaben gemacht. Und wir würden uns freuen, wenn er noch baut.« Ein Teil des Grundstückes sei jedoch noch unbeplant.

Eingeschlagene Scheiben und Müll hinterm Bauzaun: Fällt das wertvolle Heinzelmann-Areal vollends in Dornröschenschlaf?
Eingeschlagene Scheiben und Müll hinterm Bauzaun: Fällt das wertvolle Heinzelmann-Areal vollends in Dornröschenschlaf?
Eingeschlagene Scheiben und Müll hinterm Bauzaun: Fällt das wertvolle Heinzelmann-Areal vollends in Dornröschenschlaf?

Claudius Rall bestätigt dies. Nur der erste Teil sei mit der Stadt abgestimmt. Beim anderen sei man noch im Gespräch mit dem Rathaus. Man wolle erst ein Gesamtkonzept für alle beide. Der Fokus liege daher derzeit auf einem Großbauprojekt in Pfullingen. Fürs Reutlinger Vorhaben sei es derzeit »nicht realistisch«, einen Starthorizont zu nennen. Hemmschuh seien hier die vielen Unsicherheiten: von den Baukosten bis hin zu unsicheren, komplizierten Förderbedingungen. »Wir beobachten die Rahmenbedingungen.« Auch allzu restriktive Mietgesetze sind dabei Thema: »Dann bauen wir nichts mehr«, kündigt Claudius Rall an.

Heinzelmann-Areal Ostadt

In der Planie rottet ein Filetstück der Stadtentwicklung vor sich hin: Das 6.000 Quadratmeter große ehemalige Heinzelmann-Areal. Nach dem Auszug des Textilunternehmens von der Stadt erworben, diente es lange als Kulturfabrik. Die »Planie 22« beherbergte unter anderem die zweite Spielstätte des Tonne-Theaters. 2020 verkaufte die Stadt das Areal mit den denkmalgeschützten Gebäuden: Die GIEAG Immobilien AG überzeugte bei der Konzeptvergabe mit ihrem Entwurf eines Mischgebiets mit dem Schwerpunkt Wohnen (87 Wohnungen), Gewerbe, Gastronomie und Co-Working-Spaces. Baubeginn sollte 2022 sein.

Abgeräumt: Das künftige Gewerbegebiet RT-unlimited.
Abgeräumt: Das künftige Gewerbegebiet RT-unlimited.
Abgeräumt: Das künftige Gewerbegebiet RT-unlimited.

Doch die familiengeführte Münchner Aktiengesellschaft räumte jüngst im Tagblatt-Gespräch Finanzierungsschwierigkeiten ein. Unter anderem gestiegene Baukosten setzen auch den Münchnern zu, die sich über den Pressebericht hinaus nicht mehr äußern wollen. Eine Änderung des Nutzungsmixes soll die Wirtschaftlichkeit erhöhen: Ein Teil der Gewerbeflächen sollen in Wohnraum (neun Wohnungen mehr) umgewandelt werden, der sich besser vermarkten lasse.

»Wir sind in permanentem Austausch mit dem Investor. Ich bin immer noch guter Hoffnung, dass das umgesetzt wird«, kommentiert Wirtschaftsförderer Peter Wilke die Sachlage.

RT-unlimited In Laisen

Dem Vernehmen nach für 15 Millionen Euro hat die Stadt 2017 das ehemalige Betz-Areal gekauft, bevor die 14 Hektar Bruttofläche ins Eigentum der GER übergingen. Seit Ende 2022 besteht Baureife. Die Erwartungen an den Industriepark für Zukunftstechnologie sind so groß wie die Ungeduld. Zum Ärger des Wirtschaftsförderers: »Nach einem Jahr Panik schieben, dass man dort nichts umsetzt, halte ich für verfrüht. Die Technologieparks in Reutlingen und Tübingen hatten eine Entwicklungszeit von über 20 Jahren, der Orschelpark fast 30«, sagt Peter Wilke. »Ziemlich schwierige Rahmenbedingungen« wie Corona, Energiekrise, Baukosten- und Zinssteigerung und Ukrainekrieg kämen erschwerend hinzu.

Derzeit arbeite man intensiv an Energiekonzept und Erschließungsplanung. Fünf Interessenten sind weiter am Ball, darunter bekanntermaßen Bitbase und das Pfullinger Unternehmen BEC. Wie viele Unternehmen die Fläche letztlich besiedeln, dazu kann Wirtschaftsförderer Wilke keine realistische Einschätzung" geben. "Wir verkaufen die Baufelder mit einer Mindestgröße. Sie können aber auch zusammengelegt werden." Als Datum für einen ersten Spatenstich nennt Wilke vorsichtig und pessimistisch: Ende 2024.

Instrumente der Stadt

»In Reutlingen gibt es 800 voll erschlossene Baulücken. Die Eigentümer könnten sofort bauen: Würde auf jede Lücke eine Immobilie mit drei Wohnungen gesetzt, in der je 2,5 Menschen leben, hätten wir schon eine gute Antwort auf die Warteliste der GWG.« Für Stefan Dvorak hat die Verwaltung »ihre Hausaufgaben gemacht. Das Bauland für die Wohnungssuchenden haben wir längst geschaffen. Aber es ist in privater Hand. Wir haben nach geltender Rechtslage, keine Möglichkeit dranzukommen.«

Im Baugesetzbuch gebe es zwar ein Baugebot. Dies setze jedoch einen aufwendigen Verwaltungsakt voraus. Die Stadt müsste dem Eigentümer nachweisen, dass es ihm wirtschaftlich zumutbar ist zu bauen. »Ein stumpfes Schwert« sei dieses Instrument.

Andere Regeln gelten laut Peter Wilke, wenn die Stadt ein Grundstück verkauft. Dann gibt es bei Wohn- und Gewerbegrundstücken in der Regel eine Bebauungsverpflichtung im Kaufvertrag, in der Regel drei Jahre. Ist die Frist abgelaufen, kauft die Stadt den Grund zurück.

Zudem gibt es noch das gesetzliche Vorkaufsrecht: Diesen Zugriff bei einem Verkauf von privat an privat hat die Stadt – aber nur bei unbebauten Grundstücken im Geltungsbereich eines gültigen Bebauungsplans. Der Käufer kann dies abwenden, indem er mit der Stadt vereinbart, das Grundstück zu bebauen (Abwendungsvereinbarung). Damit kann die Stadt dann immerhin Druck ausüben. »Wir nutzen dieses Instrument seit einiger Zeit aktiv«, sagt Wilke. Die Zielsetzung, Bebauung des Grundstückes, werde so erreicht.

Ausblick: Die neue GWG-Geschäftsführung soll's besser machen

In Sachen Wohnraum zeigt Stephan Dvorak auf eine andere städtische Tochter. »Ich setzte auf die neue Geschäftsführung der GWG und dass sie verstärkt eine aktive Liegenschaftspolitik macht.« Meint: Die Stadt kauft Grund, die GWG entwickelt – vor allem Mietwohnungen. Hätte man nach heutiger Sachlage eher versucht, Sahnestücke wie das Heinzelmann-Areal zu behalten? »Mit der Gewissheit, dass die GWG entwickelt«, durchaus, räumt Dvorak ein. Es gelte, verstärkt wieder, »Schlüsselgrundstücke in die Verfügbarkeit der Stadt zu bekommen – das müssen wir lernen«.

Forderung nach Berlin: Andere Bodenpolitik

»Wir müssen nachdenken, ob wir so weitermachen oder eine andere Bodenpolitik in der Bundesrepublik machen«, findet Stadtplaner Stefan Dvorak. Da wo Baurecht geschaffen worden sei, müsse auch gebaut werden – mittels Zwang oder Anreiz. Die Entscheidung zu Veränderung sei jedoch Angelegenheit des Bundes. (GEA)