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Wer kann in Reutlingen Fernwärme bekommen?

Das mit 43 Kilometern größte und längste Wärmenetz in Reutlingen betreibt die Fair-Energie. Der GEA hat sich mit Dominik Völker, Leiter Vertrieb beim Reutlinger Stadtversorger, über die Ausbaupläne unterhalten.

Bestandsnetz und Planungen in der Kernstadt: Die hellgrauen Flächen werden absehbar keine Fernwärme bekommen. GRAFIK: FAIR-ENERG
Bestandsnetz und Planungen in der Kernstadt: Die hellgrauen Flächen werden absehbar keine Fernwärme bekommen. GRAFIK: FAIR-ENERGIE Foto: Gea
Bestandsnetz und Planungen in der Kernstadt: Die hellgrauen Flächen werden absehbar keine Fernwärme bekommen. GRAFIK: FAIR-ENERGIE
Foto: Gea

REUTLINGEN. Elf Prozent der Reutlinger Haushalte werden bereits mit Fernwärme versorgt. 25 Prozent sollen es laut Energienutzungsplan mittelfristig sein. Konkrete Aussagen, wie es mit dem Netzausbau weitergeht, müssen Städte und Gemeinden aber erst Ende Juni 2026 machen. Das mit 43 Kilometern größte und längste Wärmenetz in Reutlingen betreibt die Fair-Energie. Der GEA hat sich mit Dominik Völker, Leiter Vertrieb beim Reutlinger Stadtversorger, über die Ausbaupläne unterhalten.

GEA: Wie sieht bisher Ihr Plan für den Fernwärme-Ausbau in Reutlingen aus und wo geht er als Erstes weiter?

Dominik Völker: Konkrete Aussagen über die Anschlussfähigkeit bestimmter Straßen, Gebiete oder Teilorte, die nicht an einer bestehenden Leitung liegen, sind zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht möglich. Aktuell arbeiten wir am Transformationsplan, in dem im Laufe des Jahres 2024 die zukünftigen Fernwärme-Ausbaugebiete definiert und mit einem Zeitplan hinterlegt werden. Der Fokus liegt dabei zunächst auf der Reutlinger Oststadt. Die Umfragen dazu sollen Mitte des Jahres starten. Später sollen weitere Stadtteile folgen. Der Ausbau wird stufenweise vorangehen, Zeithorizont sind die kommenden 20 Jahre: Auch wenn wir damit Gefahr laufen, dass unterdessen einzelne Bürger andere Heizlösungen wählen und dann als Fernwärme-Kunden für 20 Jahre ausfallen. Wir arbeiten aber an Lösungen, mit denen die Bürger die Zeit bis zum Anschluss überbrücken können. So werden wir den Kunden beispielsweise den übergangsweisen Einbau einer neuen oder gebrauchten Gasheizung anbieten.

Wann können Bürger mit verbindlichen Ansagen rechnen?

Völker: Wir wollen nicht bis 2026 brauchen, wo der Gesetzgeber verbindliche Aussagen vorschreibt. Für den ersten Stepp in der Oststadt wollen wir schon 2024 Klarheit schaffen. Unser Problem ist die Verlässlichkeit der Rahmenbedingungen besonders im Hinblick auf die Fördermittel. Die immensen Investitionen sind ohne Förderung nicht möglich: Zweistellige Millionenbereiche sind allein schon für ein Teilgebiet aufzubringen. Nach den Verwerfungen um den Transformationsfond ist noch unklarer, zu welchem Zeitpunkt welche Summen mit Sicherheit zur Verfügung stehen. Ohne diese Klarheit können wir nicht anfangen. Weitere Themen sind die Verfügbarkeit der Baufirmen, die Abstimmung mit den verschiedenen Genehmigungsbehörden und die Arbeit an sich: Eine Leitung mit heißem Wasser in der Innenstadt in eine Straße zu legen, die voll mit Leitungen und Kanälen ist, ist eine komplexe Aufgabe.

Erklären Sie den Unterschied zwischen einem Ausbau- und einem Prüfgebiet?

Völker: Die Ausbaugebiete werden durch den Transformationsplan der Stadtwerke definiert, der im Laufe des Jahres 2024 vorliegen soll. Sie werden bei der Ausbaustrategie priorisiert betrachtet. Die Prüfgebiete werden hingegen im Energienutzungsplan der Stadt ausgewiesen als theoretisch geeignet. Das bedeutet nicht automatisch, dass in diesen Arealen tatsächlich Fernwärme ausgebaut wird. Bedingung dafür ist die Prüfung wirtschaftlicher Faktoren wie beispielsweise der zu erzielenden Anschlussquote.

 

Auf Ihrer Karte gibt es jede Menge hellgraue Flecken in der Stadt. Müssen sich die Anwohner dort auf jeden Fall selbst versorgen, wenn die Heizung kaputt geht?

Völker: Wenn ein Haus außerhalb eines Fernwärme-Prüfgebiets liegt, ist ein Anschluss nach aktuellem Stand aus technischen und/oder wirtschaftlichen Gründen nicht realisierbar. Zentrales Entscheidungskriterium für den Ausbau ist das Verhältnis der Investitionskosten zu der möglichen Anschlussleistung beziehungsweise der lieferbaren Wärmemenge. Gute Chancen haben Quartiere, wo Großabnehmer wie Schulen, Neubaugebiete oder Quartiere mit verdichteter Wohnbebauung sind.

Das heißt in den Reutlinger Wohn-vierteln, in denen eher Betuchte in Einfamilienhäusern wohnen – die sich im Idealfall auch eine Wärmepumpe leisten können – kommt die Fernwärme der Fair-Energie nicht an?

Völker: Genau. Wo die Wärmedichte gering ist und wir aktuell keine Ausbau- und Potenzialgebiete identifiziert haben, sehen wir derzeit keinen Wärmausbau.

Wenn sich in einem hellgrauen Bereich alle Bewohner einer Straße zusammentun, haben sie dann Chancen?

Völker: Wenn die ganze Straße das will, müssten wir schauen. Investition und Abnahme müssen in einem vernünftigen Verhältnis stehen. Und: Mit dem Ausbau der auf der Karte bunt gefärbten Bereiche sind wir in den nächsten Jahren gut beschäftigt.

Mehr braucht es nicht mehr im Keller: Fernwärme-Anschluss.  FOTO: PIETH
Mehr braucht es nicht mehr im Keller: Fernwärme-Anschluss. FOTO: PIETH
Mehr braucht es nicht mehr im Keller: Fernwärme-Anschluss. FOTO: PIETH

Wie ermitteln Sie den Bedarf in den Ausbaugebieten?

Völker: Durch Vor-Ort-Untersuchungen und Befragung der potenziellen Nutzer. Dennoch gibt es auch hier keine Garantie, dass jedes Haus angeschlossen werden kann. Die Gegebenheiten der Gebäude müssen jeweils immer noch separat untersucht werden.

Wie gehen Sie mit den Teilorten um?

Völker: In einzelnen Bezirksgemeinden zeigt der Energienutzungsplan Potenziale für kleinere Inselnetze wie in Reicheneck aber kleiner – etwa in einzelnen Wohnanlagen. Wir schauen uns das Schritt für Schritt an. Wird es einen Anschlusszwang geben?

Völker: Das ist ein politisches Thema: Politisch ist er nicht an jeder Stelle möglich, gewollt und sinnvoll. Für den Wärmeversorger ist er natürlich eine gute Planungsgrundlage. Gesamtwirtschaftlich betrachtet machen Tausende Einzel-Lösungen wie Wärmepumpen natürlich keinen Sinn, wenn es in der Nähe eine Leitung gibt.

»Für den ersten Stepp in der Oststadt wollen wir schon 2024 Klarheit schaffen«

Die Fernwärme gilt als teuer, die Preisgestaltung als intransparent…

Völker: Warum sollen sich Zigtausende Menschen anstelle eines Versorgers bemühen, die »richtige Lösung« zu finden, um Klimaziele und Einsparungsverpflichtungen zu erreichen? Der Kunde muss sich um nichts kümmern. Für die Preisgestaltung der Fernwärme gibt es klare gesetzliche Rahmenbedingungen. Preisänderungen orientieren sich an den Preisentwicklungen der Kosten zu Erzeugung und Betrieb der Wärme. Hier beziehen wir uns im Wesentlichen auf die vom Statistischen Bundesamt veröffentlichten offiziellen Werte. Im Vergleich zum klassischen Gaspreis erscheint der Fernwärmepreis höher. Allerdings werden hier oft Äpfel mit Birnen verglichen, da im Fernwärmepreis auch die Kosten für die Erzeugung der Wärme stecken. Außerdem werden die Gaspreise aufgrund der steigenden CO2-Preise und höherer Netzentgelte deutlich ansteigen – genauso wie die Kosten für alternative Systeme wie Wärmepumpe oder Pellets-Heizung.

 

Wie bilden Sie die Wärmepreise angesichts so vieler unbekannter Größen?

Völker: Der Preis setzt sich zusammen aus den Investitionen in Netz und Erzeugungsanlagen, die Anzahl der Kunden beziehungsweise, wie viele Kilowattstunden sie abnehmen. Bei unserem Nähwärmenetzprojekt in Reicheneck ist die Planung weit fortgeschritten. Wir wissen, was Erzeugungsanlage und Netz kosten werden. Aber wir wissen noch nicht, wie viele Bürger mitmachen und was wir konkret an Förderung erhalten. Nach derzeitigen Berechnungen brauchen wir 70 Prozent der Reichenecker Haushalte, um die Wirtschaftlichkeit zu erreichen. Damit dies gelingt, werden wir im März mit individuellen Beratungsgesprächen starten. Unsere Wärme muss wettbewerbsfähig sein im Vergleich zu Wärmepumpen oder Pelletheizungen. Wir müssen die Investitionen stemmen und zugleich für bezahlbare Preise sorgen.

Bestandsnetz und Planungen in der Kernstadt: Die hellgrauen Flächen werden absehbar keine Fernwärme bekommen. GRAFIK: FAIR-ENERG
Bestandsnetz und Planungen in der Kernstadt: Die hellgrauen Flächen werden absehbar keine Fernwärme bekommen. GRAFIK: FAIR-ENERGIE Foto: Gea
Bestandsnetz und Planungen in der Kernstadt: Die hellgrauen Flächen werden absehbar keine Fernwärme bekommen. GRAFIK: FAIR-ENERGIE
Foto: Gea

Damit der Umstieg Sinn macht, müssen Sie Ihre Fernwärme erstmal dekarbonisieren. Wie geht das voran?

Völker: Das ist Thema unseres Transformationsplans. Am konkretesten ist dabei, frühestens 2028, die Nutzung der Abwasserwärme des Klärwerks West mittels Wärmepumpe. Damit könnten wir rund 50 Prozent des aktuellen Bedarfs der Reutlinger Kernstadt decken. Hinzu kommt ein großer Puffer-Wärmespeicher in der Hauffstraße. Geprüft werden ferner der Einsatz von Biomasse und Holzhackschnitzeln sowie Solar- und Geothermie. Unsere gasbetriebenen Blockheizkraftwerke in der Hauffstraße und das Heizwerk am Bahnhof benötigen wir zunächst weiter für Spitzenzeiten und als Reserve – mit dem Ziel, schrittweise zu dekarbonisieren. Die Vision der hiesigen Transformation heißt »bunter Mix«. (GEA)

 

Fair-Energie Vertriebsleiter Dominik Völker  stand Rede und Antwort für eine komplexe Materie.  FOTO: FAIR-ENERGIE
Fair-Energie Vertriebsleiter Dominik Völker stand Rede und Antwort für eine komplexe Materie. FOTO: FAIR-ENERGIE
Fair-Energie Vertriebsleiter Dominik Völker stand Rede und Antwort für eine komplexe Materie. FOTO: FAIR-ENERGIE

FERNWÄRMENETZ DER FAIR-ENERGIE

43 Kilometer heiße Röhren

Das Fernwärmenetz der Fair-Energie/Fair-Netz erstreckt sich über eine Gesamtlänge von 43 Kilometern und versorgt eine Vielzahl von Haushalten, Unternehmen und öffentlichen Einrichtungen in Reutlingen. Die Wassertemperatur variiert und beträgt im Bestandsnetz im Vorlauf etwa 110 Grad während des gleitenden Betriebs. Im Sommer kann sich die Temperatur aufgrund der niedrigeren Nachfrage verringern. In neu gebauten Netzen oder im geplanten Wärmenetz in Reicheneck ist der Betrieb mit Vorlauftemperaturen von etwa 80 Grad Celsius möglich. Der Wärmeverlust liegt bei etwa 13 Prozent. Die oben gezeigte Karte ist auf der Homepage des Versorgers zu finden und kann dort auch vergrößert werden. (GEA) www.fairenergie.de/waerme/ fernwaerme