BAD URACH/ALTENRIET. Brezel. Breze. Brezn. Brezet. Brezget. Brezg. Pretzl. Es gibt fast so viele Namen für dieses Gebäck wie Formen. Und Legenden, wer sie erfunden haben soll. Einigermaßen unwidersprochen ist nur die Frage nach dem Ursprung des Worts: Der Name Brezel wird vom lateinischen »brachium« abgeleitet. Von dem Arm also beziehungsweise den Ärmchen. Womit wir mitten im Kern der Leserfrage wären: Wie rum gehört die Brezel, wo ist oben und unten?
Der GEA hat nachgefragt. Im Verbreitungsgebiet liegt nichts näher, als in Urach zu fragen. Dort soll die Brezel nach einer bekannten Legende – laut Wikipedia: die bekannteste – von einem Hofbäcker namens Frieder erfunden worden sein. Der soll durch einen Frevel oder eine Unterschlagung bei seinem Landesherrn Graf Eberhard sein Leben verwirkt haben. Weil er gute Dienste geleistet hatte, bekam er noch eine Chance: »Back einen Kuchen lieber Freund, durch den die Sonne dreimal scheint, dann wirst du nicht gehenkt, dein Leben sei dir frei geschenkt.«
»Wie Se’s machat, machat Se’s falsch«
Drei Tage hatte der arme Frieder. Beim Blick auf seine Frau, die die Arme vor ihrer Brust verschränkt hatte, soll dem Bäcker die Idee mit den zwei Teig-Armen gekommen sein. Dann kam noch die Katze, die vom heißen Ofen auf das Backblech sprang, sodass die Teiglinge in einen Eimer heißer Lauge fielen. Weil Frieder keine Zeit mehr hatte, das Malheur zu korrigieren – oder weil er einfach zu schwäbisch-geizig war – legte er sie aufs Blech, warf einer paar Körner grobes Salz drauf und servierte sie dem Grafen. Der war so begeistert, dass er Frieder begnadigte, der Rest der Geschichte ist bekannt. Die Brezel ist Kult. Fast überall.
»Machet Se’s so, wie’s Ihne Spaß macht«
Zu kaufen gibt es sie in fast ganz Deutschland. Also auch in der Hauptstadt. Dort seien gute Brezeln schwierig zu finden, sagte Bundeslandwirtschaft Cem Özdemir am 25. August 2022 in Bad Urach. In seine Heimatstadt war der prominente Grüne gekommen, um für die Brezel zu werben. Sie soll immaterielles Unesco-Kulturerbe werden. Die baden-württembergische Bäckerinnung hat den Antrag gestellt, das traditionelle Handwerk des Brezelbackens auf die nationale Anwärterliste zu setzen. Die Aufnahme in dieses Verzeichnis ist die Voraussetzung für die Anerkennung als Weltkulturerbe.
Cem Özdemir übte bei Becka-Beck die Kunst des Brezelschlingens und stellte sich dabei nach Aussagen von Junior-Chefin Luisa Beck richtig geschickt an (»Er hat das Bäcker-Gen im Blut«). Sowohl die Teiglinge als auch die fertig gebackenen Kunstwerke hielt der Brezelbotschafter mit den Ärmchen nach unten in die Kameras.
Bei einem GEA-Interview im November 2023 in Reutlingen konfrontierte Online-Redakteur Denis Raiser den prominentesten Uracher dann mit der Frage aller Brezel-Fragen: "Können Sie als Brezel-Botschafter eine Streitfrage ein für alle Mal die Frage klären: Wie rum gehört die Brezel?" Der Bundeslandwirtschafter grinste und antwortete: »Wie Se’s machat, machat Se’s falsch«, so Özdemir, "machat Se’s so, wie’s Ihne Spaß macht." Özdemir zeigte seine Brezel mit den Ärmchen nach oben: "Ich hab sie in Urach mal so gehalten und hab tierisch Ärger gekriegt." Er drehte sie rum und sagte: "Dann hab ich sie mal so gehalten und hab auch Ärger gekriegt."
Hauptsache also, sie schmeckt. In einem Punkt ist Cem Özdemir bei aller Diplomatie kategorisch: »Die beste Brezel ist schwäbisch.« Kein Seitenhieb auf die CSU-Bayern, sondern eindeutig ein Bekenntnis zu den feinen, knackigen Ärmchen der schwäbischen Brezeln, gegen die die dicken Arme der Bayern-Breze natürlich keine Chance haben. Die kann man zwar besser aufschneiden und Butter draufschmieren. Trotzdem. Das mit den Ärmchen ist eine Glaubensfrage.
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Wer von Berufs wegen wirklich wissen muss, wie man eine Brezel richtig hält, ist Marco Juhn. Er betreibt seit dem 1. September 2023 den »Uracher Brezelbäck« – ist also quasi direkt an der Quelle. Sein Bäckerei-Café, das er zusammen mit seiner Partnerin Nadine Goger betreibt, liegt gegenüber des Residenzschlosses. Genau: dort, wo Graf Eberhard den armen Bäckermeister mit einer Todesdrohung zu einem Kult-Stück aus der Backstube gebracht hatte.
An Marco Juhns Theke hängt die Urkunde der Standortagentur Tübingen-Reutlingen GmbH. Der Bäcker- und Konditormeister hat am 26. Februar den 1. Platz in der Kategorie »Beste Brezel« errungen beziehungsweise erbacken. »Die Ärmchen gehören ganz klar nach unten«, sagt er. Das kriegt man in der Lehre so gesagt. Seine Partnerin Nadine Goger legt die duftende Ware konsequenterweise mit dem Bauch nach oben und den Ärmchen nach unten in die Auslage. Von ihr kriegt man im Laden in der Kirchstraße auf Nachfrage gleich noch ein bisschen Bäcker-Fachwissen mit: Die Stelle, an der der Brezel-Bauch beim Backen aufbricht – mit einem Messerchen vorher eingeritzt – heißt »Ausbund«.
Man kann nicht über die Brezel sprechen, ohne von Altenriet zu reden. Die 1.800-Seelen-Gemeinde im Kreis Esslingen hat immerhin zwei goldene Brezeln über einem aufspringenden Jagdhund im Wappen. Ganz korrekt mit den Ärmchen nach unten. Die Ureinwohner des "freundlichen und selbstständigen Dorfes" – so beschreiben sich die Altenrieter auf der Seite "www.brezelmarkt.de" – haben überhaupt keinen Zweifel daran, wer der Schwaben liebstes Gebäck erfunden hat: "Viele Gemeinden sagen, ›bei uns wurde die Brezel erfunden‹, Altenriet aber kann diese Aussage für sich in Anspruch nehmen", sagen sie.
»Die Ärmchen gehören ganz klar nach unten«
Der Brezelmarkt hat in Altenriet fast so einen großen Kultstatus wie der Schäferlauf in Bad Urach. Und er hat sogar eine noch längere Vorgeschichte: Das Fest wurde erstmals 1675 in einem Kirchenkonventsprotokoll urkundlich erwähnt. In seiner heutigen Form mit Festzug, Festzelt und Markt wurde erstmals 1970 veranstaltet, immer am Palmsonntag.
Uracher und Altenrieter sind und bleiben überzeugt, dass sie und niemand anders die Brezel erfunden haben. Vermutlich haben sie beide Unrecht. In Meyers Konversationslexikon findet man ihren Ursprung auf das Jahr 743 datiert. Das älteste nachweisbare Bäckerwappen mit einer Brezel wird auf das Jahr 1111 datiert. Pieter Bruegel der Ältere hat das gute Stück auf einem Bild von 1559 festgehalten. Brezelabbildungen finden sich auf vielen Ladenschildern von Bäckereien und auch im Logo der Deutschen Innungsbäcker. Mit den Ärmchen nach unten.
Man kann die Brezel drehen und wenden, so oft man will. Sie ist – am besten mit viel Butter – saulecker. (GEA)