BAD URACH. Zeitgleich mit der Inklusionskonferenz des Landkreises Reutlingen wurde 2013 der Beirat Selbsthilfe ins Leben gerufen. Im zweiten Teil der vierteiligen Sommerserie stellen sich Lukas Käser und sein Vater Klaus vor.
Lukas Käser ist heute 41 Jahre alt und wohnt »auf der Bleiche«. Die Bleiche ist ein Biolandhof bei Bad Urach, aber auch ein Wohn- und Pflegeheim der Bruderhaus-Diakonie. Dort haben die Eltern Bärbel und Klaus Käser einen Heimplatz für Lukas gefunden, als er 23 Jahre alt war. In fast ganz Baden-Württemberg hatten sie gesucht, als sie merkten, dass die Situation mit dem behinderten Sohn sie überforderte.
Kurz nach der Geburt wurde bei Lukas ein Herzfehler festgestellt. In den folgenden Jahre drehte sich bei ihm – und bei den Eltern – alles um diesen Fehler, inklusive Herzoperation. Erst als Lukas drei oder vier Jahre war, wurde bei ihm eine geistige Behinderung diagnostiziert. Er ging in einen inklusiven Kindergarten, wechselte in eine Sprachheilschule, danach in die KBF-Schule in Mössingen.
Lange einen Platz gesucht
Als Lukas dann in die Pubertät kam, verstärkte sich sein autistisches Verhalten: Immer öfter traten bei ihm »aggressive Ausbrüche« zutage – sodass sich sein Umfeld kaum mehr zu helfen wusste. Lukas Käser kam nach der Schule in die Werkstatt für behinderte Menschen der Bruderhaus-Diakonie auf dem Reutlinger Gaisbühl. »Was hast du dort am liebsten gemacht«, fragt der Vater den Sohn. Lukas überlegt, dann fällt es ihm ein: »Pause«, sagt er und er strahlt genauso wie sein Papa, der selbst Lehrer an der Freien Evangelischen Schule in Reutlingen war. »In der Werkstatt hat es aber nicht funktioniert, Lukas war den Anforderungen dort nicht gewachsen«, so Klaus Käser.
Stattdessen ist Lukas inzwischen in einer Förder- und Betreuungsgruppe in Dettingen tagsüber untergebracht. Mit Unterstützung von Friedemann Salzer, der damals noch bei der Bruderhaus-Diakonie war, fand die Familie schließlich einen Heimplatz auf der Bleiche bei Bad Urach. Seit 19 Jahren lebt Lukas nun schon dort. »Es passt einfach«, sagt Vater Käser. Jedes zweite Wochenende verbringt Lukas bei den Eltern, aber auch seine vier Geschwister, Onkel und Tanten kümmern sich.
Seit 19 Jahren in der Bleiche
Klaus Käser bringt sich seit einigen Jahren in den Beirat Selbsthilfe der Inklusionskonferenz ein. Dazu gekommen ist er über die Angehörigen-Vertretung bei der Bruderhaus-Diakonie. Schon dort hatte er sich engagiert, »wir wollten, dass wir gehört werden, wenn etwa neue Wohnprojekte angegangen werden sollten«, berichtet der einstige Lehrer. Von einer ehemaligen Nachbarin ist Käser dann auf den Beirat Selbsthilfe der Inklusionskonferenz angesprochen worden. Den Pädagogen hatte die Tätigkeit dort gereizt, »ich war noch nie so nah an den Personen dran, die tatsächlich Entscheidungen treffen«, sagt Käser. Im Beirat vertritt er nun seit einigen Jahren als Angehöriger nicht allein die Interessen von Sohn Lukas – dort begegnen ihm auch alle anderen Behinderungsarten. Von blinden über gehörlose Menschen bis zu Psychiatrieerfahrenen und Körperbehinderten, mit ihren jeweiligen Anliegen.
Menschen zusammenbringen
»Dort entstehen so viele gute Ideen«, zeigt sich Klaus Käser begeistert. Und er selbst trägt mit dazu bei. So ist er etwa ein heftiger Verfechter für die Einführung einer bereits bestehenden App. Damit könnten sich Menschen Hilfe suchen, die Unterstützungsbedarf benötigen. Freiwillige können sich melden und – bezahlt oder unbezahlt – ihre Hilfe anbieten. »Das ist eine Matching-App, die Menschen zusammenbringt«, erläutert Susanne Blum als Leiterin der Inklusionskonferenz. Allerdings seien vor der Einführung noch einige Fragen ungeklärt.
Klaus Käser setzt sich aber auch für die Stationierung eines ausleihbaren Tandemfahrrads im Landkreis ein, in dem beeinträchtigte Personen mitfahren können. Generell engagiert sich der Pädagoge dafür, dass es Menschen mit Behinderungen ein Stück weit leichter im Leben haben.
Der Beirat Selbsthilfe sei da ein gutes Podium, sagt Susanne Blum, »der ist kein zahnloser Tiger«. Käser winkt dennoch ab: »Ich vollbringe ja keine Heldentaten.« Aber: »Ich muss langsam auch daran denken, dass ich 73 Jahre alt bin.«
2013 auf den Weg gemacht
Für Lukas werde auf jeden Fall gesorgt sein, wenn die Eltern nicht mehr können – oder wenn sie nicht mehr da sind. »Lukas kann in der Bleiche bleiben und die Familie schaut auch nach ihm.« Die Eltern möchten aber noch so viel wie möglich mit Lukas unternehmen. Schwimmen gehen etwa. Oder ganz neu, mit einem Camper unterwegs sein. Lukas’ aggressive Ausbrüche sind so gut wie kein Thema mehr. »Er ist medikamentös gut eingestellt«, sagt der Vater.
Der Landkreis Reutlingen hat sich mit der Inklusionskonferenz 2013 auf den Weg gemacht, die Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention auf kommunaler Ebene umzusetzen. Unterstützt durch den Beirat Selbsthilfe und in Kooperation mit unterschiedlichen Netzwerkpartnern wurden viele Maßnahmen und Projekte zum Abbau von Barrieren und einer umfassenden Teilhabe am Leben in der Gesellschaft umgesetzt. (eg)
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