TÜBINGEN. Ein Mittelpunkt ist logischerweise etwas Einzigartiges. Sollte Baden-Württemberg folglich nur einen haben? Tatsache ist aber: Das Land »leistet« sich zwei Mitten und die existieren an zwei unterschiedlichen Stellen. Ein GEA-Leser wollte wissen, wie das sein kann. Eine Antwort vorweg: Es kann unter bestimmten Umständen eben doch zwei Mittelpunkte geben.
Die Stadt Tübingen gibt sich bescheiden und wirbt auf ihrer Internetseite fast gar nicht damit, dass sich ein errechneter Mittelpunkt des Bundeslandes Baden-Württemberg auf der Gemarkung der Unistadt befindet: »Übrigens: In einem Wäldchen namens Elysium mitten im Stadtgebiet befindet sich der geografische Mittelpunkt Baden-Württembergs«, steht dort. Mehr nicht. Auch die Tourismusseite des Verkehrsvereins Tübingen macht keine große Sache draus: »Ein Spaziergang durch das 'Elysium' über den 'Geografischen Mittelpunkt' von Baden-Württemberg hinauf zum Neuen Botanischen Garten der Universität ist ein schöner und empfehlenswerter Ausflug.« Der Steinkegel befindet sich seit 1986 dort.
Ganz anders der Internetauftritt der Stadt Böblingen. Eine ganze Seite ist dem dort verorteten Mittelpunkt des Bundeslandes gewidmet. Samt einem Foto, das den ehemaligen Oberbürgermeister von Böblingen, Wolfgang Lützner, mit Landrat Roland Bernhard zeigt. Beide enthüllen eine Stele aus Stein, die den Mittelpunkt des Landes im Böblinger Wald reklamiert. Das war 2017. Eine ausführliche Erklärung sowie Wegbeschreibungen, Rad- und Wandertouren präsentieren den Ort als Ausflugsziel.
Doch wer hat jetzt recht? Wo liegt die Mitte Baden-Württembergs tatsächlich: in Tübingen oder 14 Kilometer entfernt in Böblingen? Antwort: Beide. Denn es kommt darauf an, wie der Mittelpunkt des Landes berechnet wird. Je nachdem, welche Methode angewendet wird, kommen zwei unterschiedliche Ergebnisse heraus. Das eine Ergebnis führt nach Tübingen und das andere nach Böblingen.
Nach Auskunft aus dem Tübinger Rathaus wurde der dortige Mittelpunkt im Jahr 1980 durch das Landesvermessungsamt errechnet. Dafür wurde die sogenannte Schwerpunktberechnung angewendet. Bildlich erklärt: Könnte man die Fläche Baden-Württembergs aus der Erdoberfläche herausstanzen und als Relief auf den Steinkegel in Tübingen platzieren, wäre es dort ausbalanciert und es würde sich im Gleichgewicht befinden.
Laut der Stadtverwaltung Böblingen wurde für die Verortung auf ihrer Gemarkung die sogenannte Extremwertberechnung verwendet. Dazu wurden die Koordinaten der jeweils nördlichsten, östlichsten, westlichsten und südlichsten Kommunen des Landes herangezogen und die geografische Mitte berechnet. Das Mittel aus den geografischen Werten des nördlichsten, südlichsten sowie des östlichsten und westlichsten Punktes wurde errechnet und dementsprechend liegt dieser Mittelpunkt im Naturpark Schönbuch bei Böblingen.
Warum heißt das Tübinger Wäldchen »Elysium«?
Der Name geht vermutlich auf die schwäbischen Dichter der Romantik zurück, die im 19. Jahrhundert die Idylle des Tübinger Wäldchens für sich entdeckten und es irgendwann »Elysium« tauften. Das Wort stammt ursprünglich aus dem Griechischen »Elysion« und bedeutet so viel wie »Insel der Seeligen«. Der bekannte Tübinger Romantik-Dichter Ludwig Uhland nannte das Wäldchen unter anderem »Vorschein himmlischen Glücks«.
Auf Nachfrage des GEA, warum Tübingen doch eher zurückhaltend mit »seinem Mittelpunkt« wirbt, kündigt die Stadtverwaltung an, dies demnächst zu ändern. Aus dem Rathaus heißt es, in Zusammenarbeit mit dem Bürger- und Verkehrsverein, werde die Tourismus-Internetseite www.tuebingen-info.de ständig weiterentwickelt. Schwerpunkte seien unter anderem die »klassischen Stadtthemen wie Altstadt, Neckar, Kultur, Einkaufen.« Diese seien bereits erweitert worden durch »Wandern, Radfahren, Spazieren und regionale Produkte«. Mittlerweile seien auch viele Wanderwege zu finden, wie der Hügelweg oder der Hagellocher Birnenweg. Weiter heißt es: »Die Bewerbung des Elysiums steht auch demnächst an.« (GEA)
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