REUTLINGEN-BETZINGEN. Wucherndes Unkraut, wild herumliegende Baustoffabfälle, umgekippte Zaunelemente und dahinter ein Rohbau, bei dem sich seit fast vier Jahren rein gar nichts mehr tut: Die Heppstraße 116 in Betzingen hat sich zu einem Schandfleck entwickelt. Aber was hat es mit der Bauruine auf sich und warum geht es nicht weiter? Eine Frage, die indirekt auch die Stuttgarter Staatsanwaltschaft beschäftigt, denn der Betzinger Rohbau ist Teil eines möglichen Immobilienskandals: Ermittelt wird gegen die Eigentümerin des Grundstücks, die inzwischen insolvente BG Business Group aus der Schweiz, wegen schweren Betrugs und Untreue. Die juristische Aufarbeitung der Vorgänge wird Jahre dauern. So lange bleibt die Bauruine den Betzingern erhalten: Der Stadt sind die Hände gebunden, weil es sich um ein Privatgrundstück handelt.
Das Unternehmen aus dem schweizerischen Cham soll zwischen 2017 und 2021 an Privatkäufer 44 Immobilienobjekte in Süddeutschland veräußert, die meisten aber gar nicht gebaut haben, so der Vorwurf. Die Anleger - viele aus der Schweiz – sollen so um geschätzte 80 Millionen Schweizer Franken betrogen worden sein. Die Ermittlungen dauern an, im Frühjahr 2024 ließ laut einem Bericht des Schweizer Nachrichtenportals zentralplus die Stuttgarter Staatsanwaltschaft auch Wohn- und Geschäftsräume der beiden beschuldigten BG-Chefs durchsuchen. Der Deckname der Aktion: »Luftschloss«.
BG Business Group weist Vorwürfe zurück
Die BG Business Group weist die Vorwürfe zurück. Gegenüber der Südwestpresse, die im August 2024 über den Fall berichtete, behauptete die Firma: Der beauftragte Generalunternehmer habe trotz vollständiger Zahlungen das Mehrfamilienhaus in der Heppstraße sowie weitere Projekte nicht fertiggestellt und inzwischen selbst Konkurs angemeldet. Die BG Business Group zähle sich deshalb zu den »geschädigten Parteien«. Was dran ist an dem Statement der Firma, die laut Handelsregister und Konkursamt des Kantons Zug seit dem 22. April »AG in Liquidation« ist, hat jetzt die Staatsanwaltschaft zu prüfen. So lange gilt für die Beschuldigten die Unschuldsvermutung.
Für Betzingens Bezirksbürgermeister Friedemann Rupp ist die verrottende Bauruine nicht nur optisch ein Ärgernis. Ständig beschwerten sich Bürger im Rathaus über das vermüllte Gelände oder es fragten Interessenten am Grundstück nach, berichtet er – aber viel Auskunft geben könnten er und die Rathausmitarbeiter nicht. Bezirksamtsleiter Dominik Campanale spricht von einer »never ending story«: Man versuche immer wieder, in Kontakt mit Ansprechpartnern des Schweizer Unternehmens zu kommen, »aber es gibt keine Reaktionen«.
Nicht nur optisch ein Ärgernis
Nicht viel besser geht es der Reutlinger Stadtverwaltung. Am 13. Dezember 2016 hat sie die Baugenehmigung für das Mehrfamilienhaus mit fünf Wohneinheiten und Tiefgarage in der Heppstraße erteilt, die Bauplanung wurde samt Grundstück an die BG Business Group verkauft, lässt sie auf GEA-Nachfrage wissen. Mit dem Bau wurde erst am 2. Mai 2019 begonnen – aber ab 1. Juli 2021 war Schicht im Schacht. Weil die ausführende Firma wegen einer Insolvenz die Bauleiterbestellung zurückgezogen habe und die Baustelle seither ruhe, sei auch die Baugenehmigung erloschen, so das Bürgerbüro Bauen. Das habe man der Eigentümerin mitgeteilt.
Zum letzten Mal Kontakt hatte die Baurechtsbehörde mit der »Bauherrschaft« Anfang März 2023. Es ging um die Verkehrssicherungspflicht beziehungsweise die Aufforderung, einen Bauzaun aufzustellen. Seither herrscht Funkstille - mangels Ansprechpartner in der Schweiz. Am 6. Mai dieses Jahres inspizierte das Bürgerbüro Bauen erneut das Grundstück, stellte Lücken im Bauzaun fest, im Rohbau herumliegenden Müll, Autoreifen, einen alten Kühlschrank. Ergebnis der Kontrolle: Eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit bestehe nicht, auch der Rohbau sei »augenscheinlich statisch sicher«. Grundstückseigentümer haben allerdings generell eine private Verkehrssicherungspflicht, müssen also dafür sorgen, dass, so das Bürgerbüro Bauen, »ein unberechtigtes Betreten seines Grundstücks nicht oder nur sehr schwer möglich wäre«. Was in der Heppstraße 116 ersichtlich nicht der Fall ist. Doch was tun, wenn der Eigentümer für die Stadtverwaltung nicht erreichbar ist? »Wir prüfen derzeit, wie Abhilfe geschaffen werden kann.«
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Ordnungsrechtlich gehen die Bemühungen der Stadtverwaltung also vorerst ins Leere, baurechtlich hat sie ohnehin keine Handhabe. Denn eine Bauverpflichtung oder ein Baugebot sind im Fall Heppstraße 116 rechtlich nicht möglich, so das Bürgerbüro Bauen. »Im Übrigen wäre ein solches aufgrund der tatsächlichen Situation – Eigentümer aus der Schweiz und insolvent – auch nicht umsetzbar.« Kein Ende in Sicht also bei der »never ending story«, die Betzingen immerhin ein Alleinstellungsmerkmal beschert. »Wir haben«, lässt das Bürgerbüro Bauen wissen, »ansonsten keine derartigen, über Jahre inaktiven vergleichbaren Fälle von Bauruinen hier in Reutlingen.« (GEA)