ZWIEFALTEN. Hundertfaches Flackern von in Reihe aufgestellten Blaulichtfahrzeugen. Dieses Bild bietet sich am Sonntagabend auf der Fahrt von Zwiefalten nach Riedlingen auf der linken Anhöhe. Mehrere Hubschrauber steigen auf, andere landen oder schweben in der Luft. Was sich gegen 18.10 Uhr auf der Bahnstrecke zwischen Riedlingen und Munderkingen - etwa einen Kilometer von der Reutlinger Kreisgrenze entfernt - ereignet, ist ein Drama. Ein Regionalexpress, der auf dem Weg nach Ulm ist, entgleist. Mindestens drei Menschen sterben, dutzende werden teils schwerst verletzt.
Ersten Erkenntnissen zufolge gerät der Zug bei der Fahrt durch die Gemeinde Zell (Landkreis Biberach) in eine Mure. Sinnflutartige Regenfälle hatten kurz zuvor den Erdboden so aufgeweicht, dass es zu einem Hangrutsch gekommen war. Der Schlamm, der sich an dieser Stelle auf den Schienen gesammelt hat, führt nun dazu, dass Waggons des Regionalexpresses aus den Gleisen springen. Die Kräfte, die nun wirken, sind immens. Ein Waggon stellt sich senkrecht auf, als der Zug noch fährt, er beschädigt mehrere Bäume in rund fünf Metern Höhe. Die Gleise verformen sich. Im Anschluss kommen die Waggons im Gleisbett zum Liegen. Am frühen Montagmorgen bestätigten die Ermittler der Polizei: »Das Wasser löste einen Erdrutsch im Böschungsbereich zu den Gleisen hin aus, was wiederum wohl die Entgleisung verursachte.«
Rettern bietet sich ein Bild des Grauen
Den ersten Rettern, die kurz danach am Unglücksort eintreffen, bietet sich ein Bild des Grauens. Zwei Waggons liegen auf der Seite, es sind Schreie von Verletzten zu hören. Die Rettungsleitstelle löst den Alarm »Massenunfall an Verletzten« aus. Die Nachricht, dass bei Zweifalten etwas Schlimmes passiert sein muss, verbreitet sich schnell in der Region. Denn alle, die im Rettungsdienst oder bei der Feuerwehr tätig sind, wissen, was dieser Alarm bedeutet. Nach und nach werden Rettungskräfte aus der weiten Umgebung nachalarmiert. So auch welche aus dem Kreis Reutlingen, auch der ganzen Region Oberschwaben und dem Alb-Donau-Kreis, sogar aus Bayern. Auch sechs Rettungshubschrauber aus dem ganzen Südwest.
Videos vom Unglücksort zeigen Feuerwehrleute, die sich in voller Montur durch das schwer zugängliche Gelände, durch Gebüsch und Matsch, die Hänge hinab bewegen. Auf anderen Aufnahmen sieht man, wie sie auf den entgleisten, schräg liegenden Waggons stehen und versuchen, mit schwerem Gerät Zugang zu den im Zug eingeklemmten Menschen zu bekommen.
Nach und nach ergibt sich für die Rettungskräfte ein erster Überblick. Ein Polizeisprecher sorgt am Abend gegen 21.15 Uhr für traurige Gewissheit. Er sagt der Presse, dass es mindestens drei Tote und viele Schwerstverletzte gibt. Der genaue Überblick ist an diesem Abend noch noch abschließend möglich, da auch in den Dämmerungs- und Nachtstunden weiter nach Personen gesucht wird, die möglicherweise unter den Waggons eingeschlossen sind oder aus dem Zug geschleudert wurden. »Wir gehen von einer Anzahl von Verletzten im mittleren zweistelligen Bereich aus«, so der Polizeisprecher weiter. Unbestätigten Meldungen zufolge soll es sich um 35 Verletzte handeln. Die Rettungskräfte gehen an diesem Abend nach einem ersten Lage-Überblick davon aus, dass rund 100 Personen insgesamt im verunglückten Zug gesessen sind.

Als die Dämmerung einbricht, rücken mehrere Einheiten des Technischen Hilfswerks an die schwer zugängliche Unglücksstelle vor. Die Experten leuchten die Einsatzstelle aus und fällen Bäume und Gebüsch, um besseren Zugang zu den Waggons zu bekommen - für die Bergung und die weiteren Arbeiten, die nun nötig sind. In der Spitze sind an diesem Abend mehrere hundert Einsatzkräfte vor Ort. Die THW-Helfer arbeiten unter Hochdruck und treffen die Vorbereitungen für die Bergung der Wracks. Die Arbeiten würden auch bis Montag noch andauern, sagt die Kreisbrandmeisterin des Landkreises Biberach, Charlotte Ziller. Die Waggons seien schwer und die Unfallstelle unwegsam. Zur Unfallermittlung sind zahlreiche Experten der Bahn vor Ort. Bild, Stuttgarter Zeitung, Spiegel, Tagesschau: Das Medieninteresse an dieser Zugkatastrophe ist groß, Journalisten aus dem ganzen Land sind vor Ort.
Im Bürgerzentrum Daugendorf wird an diesem Abend eine Sammelstelle für Angehörige eingerichtet. Die Deutsche Bahn hat für Betroffene und deren Angehörige eine kostenlose Sonder-Hotline unter 0800/3111111 eingerichtet, außerdem helfen Notfallseelsorger und Krisenpsychologen betroffenen Reisenden und Mitarbeitern.
Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann zeigt sich am Sonntagabend erschüttert. »Mein tief empfundenes Beileid gilt den Angehörigen der Opfer. Allen Verletzten wünsche ich eine rasche und vollständige Genesung«, sagte Kretschmann einer Mitteilung zufolge. Innenminister Thomas Strobl (CDU) macht sich vor Ort ein Bild von der Lage und zeigt sich tief erschüttert. Bundesverkehrsminister Patrick Schnieder (CDU), der nicht selbst in Riedlingen war, erklärt: »Die Lage vor Ort ist erschütternd.« Aktuell lasse sich das gesamte Ausmaß des Zugunglücks nur erahnen. »Meine Gedanken sind bei den Verletzten, den Angehörigen und Rettungskräften. Wir stehen im engen Austausch mit der Bahn und unterstützen, wo wir können.« Experten seien unterwegs, um mit den Ermittlungsbehörden die Unfallursache zu untersuchen. (GEA)