TÜBINGEN. Nach dem Auftreten einer Kolonie der Ameisenart Tapinoma magnum im Beethovenweg hat die Tübinger Ordnungsbürgermeisterin Dr. Gundula Schäfer-Vogel am ersten Tag nach ihrem Urlaub den betroffenen Anwohnern einen Besuch abgestattet. »Mir war es wichtig, das direkte Gespräch zu suchen und mir vor Ort selbst ein Bild vom Ausmaß des Befalls zu machen. Die Sorgen und Ängste der Bürgerinnen und Bürger nehmen wir sehr ernst«, sagt Schäfer-Vogel. Die Anwohner sind derweil bereits zur Tat geschritten: Unter der Anleitung des Biologen Christian Wolff rücken sie der Art mit Wasserkochern zu Leibe.
Bislang kamen die Ameisen der Art Tapinoma magnum in Tübingen noch nicht vor. »Doch diese Ameisen gelten rechtlich nicht als invasive Art. Deshalb ist deren Bekämpfung nicht per se eine Pflichtaufgabe der Stadt«, erläutert Lukas Haderlein, Leiter der Fachabteilung Ordnung und Gewerbe. »Wir werden aber natürlich tätig, wenn massive Schäden im öffentlichen Raum zu befürchten sind oder wenn ein Befall der kritischen Infrastruktur droht.« Hierzu zählen unter anderem Strom- und Verteilerkästen, aber auch Spielplätze.
In der Stadt Kehl, wo die Ameisenart bereits 2023 erstmals auftrat, hatten die Krabbeltiere derartige Beschädigungen ausgelöst – allerdings auf eher sandigen Böden, wohingegen die Böden in Tübingen überwiegend lehmig-tonig und damit weniger anfällig sind.
Riesige Superkolonien
Im Gegensatz zu den meisten einheimischen Ameisenarten, deren Kolonien sich gegenseitig bekämpfen und auf Distanz halten, bildet Tapinoma magnum mit der Zeit sogenannte »Superkolonien«, die Millionen Tiere und tausende Königinnen umfassen können. Eingeschleppt wurde die ursprünglich in Nordafrika beheimatete Art wahrscheinlich durch Wurzelballen von importierten Pflanzen. Erstmals aufgetreten sein soll die Art 2011 in Deutschland in einer Baumschule in Ingelsheim (Rheinland-Pfalz), andere Quellen nennen das fränkische Nürnberg als ersten Fundort.
Um die aktuelle Lage zuverlässig im Blick zu behalten und gegebenenfalls kurzfristig gegen die Ameisen vorgehen zu können, hat die Stadtverwaltung ein erstes Maßnahmenpaket geschnürt: Die Kommunalen Servicebetriebe sind ab jetzt regelmäßig vor Ort und beobachten, ob und wie sich die Ameisen ausbreiten. Dabei nehmen sie insbesondere öffentliche Flächen und Verteilerkästen in den Blick. Die Beschäftigten im Kinderhaus Waldschule, das sich im benachbarten Luise-Wetzel-Weg befindet, werden über den Ameisenbefall in der Nachbarschaft informiert. Zugleich treffen die Kommunalen Servicebetriebe alle Vorbereitungen, um gegen die Ameisen vorgehen zu können. »Ein dafür notwendiges Fahrzeug ist bereits vorhanden. Wir prüfen aktuell, wie wir dieses zum Heißwassersprühgerät umrüsten können«, sagt Stefan Kraus, Leiter der Servicebetriebe. So könnten die Mitarbeiter der Straßen- und Grünpflege umgehend tätig werden, wenn die Ameisen Schäden im öffentlichen Raum anzurichten drohen.
Was gegen die Ameisen hilft
Heißes Wasser ist nötig, um die Eiweiße in den Ameisenkörpern gerinnen zu lassen – und die Tiere damit zu töten. Herkömmliche Pestizide zeigen hingegen oft keine Wirkung. Und: Auch im Winter geht der Spuck nicht vorbei, auch wenn dies bei einer Ameisenart aus dem Mittelmeerraum zu erwarten wäre. So soll eine Kolonie von Tapinoma magnum in Deutschland eine 14-tägige Frostperiode überstanden haben – mit Minustemperaturen von bis zu minus 15 Grad Celsius. Die Bekämpfung der neuen Ameisenart ist daher eine Herausforderung.
Weshalb die Tübinger Stadtverwaltung nach eigenem Bekunden im engen Austausch mit Fachleuten und mit anderen Kommunen, in denen die neuen Ameisen ebenfalls aufgetreten sind, steht. »Das Vorgehen ist lokal sehr unterschiedlich. Das liegt auch daran, dass diese Ameisen nicht mehr verschwinden, sondern sich weiter ausbreiten werden. Die Bekämpfung mit heißem Wasser ist eine Möglichkeit, den Tieren zu Leibe zu rücken, wird sie aber nicht mehr ganz verschwinden lassen«, so Haderlein. Das zeige auch das Beispiel aus Kehl, wo die Ameisen trotz intensiver Bemühungen der Stadt mittlerweile im dritten Sommer in Folge weiterhin auftreten.
Wettlauf gegen die Zeit
Das Naturkundemuseum Stuttgart nennt Tampinoma magnum die »neue, unbeliebte Nachbarin«, die die Nähe zum Menschen sucht: Vorwiegend siedelt die Art in der Nähe von Mauern, unter Platten und Blumenkästen oder zwischen Pflastersteinen – also in künstlich geschaffenen Habitaten. In Kooperation mit dem Naturkundemuseum Karlsruhe führen die Stuttgarter im Auftrag des Landesumweltministeriums eine Studie zu dieser neuen Art durch, insbesondere geht es dabei um deren Ausbreitungsmechanismen, um Prognosen für die Verbreitung der Art zu ermöglichen. Als weiteres explizites Ziel wird die Entwicklung einer »effektive Strategie zur Bekämpfung der Invasion« genannt. Allerdings: Die Forschungsarbeit begann erst in diesem Jahr, im Wettlauf gegen die Zeit haben die Tierchen derzeit also die Nase vorn.
Bei einem Befall auf einer privaten Fläche empfiehlt die Stadtverwaltung, einen Schädlingsbekämpfer einzuschalten, der die Ameise identifizieren und auch professionell bekämpfen kann. Um die Ausbreitung zu dokumentieren, können die von Fachleuten bestätigten Sichtungen bei der Abteilung Ordnung und Gewerbe per E-Mail gemeldet werden. (pm/ath)