HOHENSTEIN. »Ich bin einfach nur traurig, wie eine wirklich gute Einrichtung, die von vielen Menschen genutzt wird, ihren guten Ruf verliert«, schreibt GEA-Leser Willi Myke in einer E-Mail an die Redaktion. Die Rede ist vom Port-Gesundheitszentrum in Hohenstein, das Ärzte und Therapeuten verschiedenster Fachrichtungen unter einem Dach vereint. Das heißt für Patienten in der Regel: kurze Wege, schnelle Hilfen. Den Anlass für die E-Mail des Lesers gab die Tatsache, dass die dort ebenfalls angesiedelte Hausarztpraxis seit 1. September geschlossen ist.
Das soll sie allerdings nicht bleiben, wie Hohensteins Bürgermeister Simon Baier betont: Die Stelle ist bereits ausgeschrieben, die Suche nach einem Nachfolger für den bisherigen Hausarzt läuft. »Sie soll auf jeden Fall wieder besetzt werden, ein Hausarzt ist für die Primärversorgung, wie sie das Gesundheitszentrum leisten soll, ganz wesentlich«, so Baier. Der bisherige Stelleninhaber habe sich beruflich verändert und das Port auf eigenen Wunsch verlassen.
Arzt ist bei den Kreiskliniken angestellt
»Einfach mal schnell nach Reutlingen wegen einer Grippeschutzimpfung oder einem Rezept ist keine Lösung«, kritisiert der Patient, der sich an den GEA gewandt hat, die aktuelle Übergangsregelung. Dass Patienten derzeit nach Reutlingen verwiesen werden, soll allerdings keine Dauerlösung sein und hat einen strukturbedingten Grund: Die Hausarztpraxis ist beim Medizinischen Versorgungszentrum (MVZ) II angesiedelt. Das heißt, sie wird nicht selbstständig geführt, sondern von einem Arzt betreut, der bei den Kreiskliniken Reutlingen angestellt ist. Letztere haben die Stelle bereits ausgeschrieben, berichtet Bürgermeister Baier.
Gesucht wird eine Allgemeinärztin oder ein Allgemeinarzt, alternativ ein Facharzt für innere Medizin. Ein großer Wunsch wäre, so Baier, »jemand mit Kenntnissen und Erfahrung im Bereich Gynäkologie« - ein Feld, das im Port noch nicht abgedeckt wird. »Das wäre der Idealfall - es ist keinesfalls ein Muss«, sagt der Bürgermeister, der hofft, dass bald Bewerbungen eintrudeln. Denn das sei bisher leider nicht der Fall. Dabei, so Baier, »ist es eigentlich die perfekte Stelle« - vor allem für Bewerber, für die die Vereinbarkeit von Familie und Beruf einen hohen Stellenwert hat.
Familienfreundlich und inhaltlich spannend
Ausgeschrieben ist eine 50-Prozent-Stelle - ideal für Ärztinnen oder Ärzte in der Familienphase, findet Baier, der auch zusätzliche Benefits anzubieten hat, die oft nachgefragt werden. Ein Kinderbetreuungsplatz in einer der Hohensteiner Einrichtungen lässt sich genauso leicht finden wie ein Parkplatz am Arbeitsort. Bei Bedarf könne man auch über den Stellenumfang reden, man sei flexibel.
Attraktiv ist der Job auch, weil man ihn nicht »selbst und ständig« machen muss, meint der Bürgermeister: keine eigene Praxis mit allem drum und dran zu führen, sondern im Angestelltenverhältnis zu arbeiten, erleichtert vieles. Auch die Einbettung ins interdisziplinäre Team des Gesundheitszentrums unterscheide diese Hausarztstelle von anderen. Unterm selben Dach zuhause sind ein Kinderarzt, Chirurgen und Orthopäden, eine Zahnärztin, Physiotherapeuten, Pflegefachleute und eine kommunale Gesundheitsfachkraft, die an den Schnittstellen passende Hilfen vermittelt.
Praxis könnte Versorgungsgebiet entlasten
Dass Bedarf da ist, steht außer Frage: In Hohenstein gibt es zwar zwei weitere Allgemeinarztpraxen. Die aber haben alle Hände voll zu tun - wie die meisten Praxen im Umkreis. »Aus Kapazitätsgründen nehmen wir ab sofort keine neuen Patienten mehr an«, heißt es auf der Homepage der Praxis von Dr. Roland Rauscher. Die Versorgung der Patienten aus der Gemeinde sei aber sichergestellt, betont er auf Nachfrage am Telefon, »sie hat absoluten Vorrang, das ist unsere Verantwortung«. Roland Rauscher wird bald 65, »ich schaffe noch mit Vollgas, da gehen andere schon in den Ruhestand«, erzählt er aus dem Kreis der Kollegen und Studienfreunde. Konkret auf die Suche nach einem Nachfolger will er sich aber erst im nächsten Jahr machen. »Derzeit habe ich das Glück, dass ich eine Ärztin anstellen konnte, die mich entlastet.«
Eine Entlastungsfunktion habe grundsätzlich auch das Port-Zentrum, betonen sowohl Roland Rauscher als auch Dr. Johannes Müller, der ebenfalls eine Praxis in Bernloch hat. Die Patienten, die bisher beim Hausarzt im Port waren, seien teilweise bei ihm vor der Tür gestanden, berichtet Müller, dessen Praxis nur 100 Meter weiter weg ist. Für ihn und seine Kollegen sei die Schließung überraschend gekommen, sagt der Hausarzt - das deckt sich mit dem, was GEA-Leser Willi Myke berichtet: Er und seine Frau haben via Ansage auf dem Anrufbeantworter erfahren, dass die Praxis vorerst geschlossen bleibe, schreibt er.
Für die Versorgung auf dem Land wertvoll
Zum überraschenden Aus der Praxis haben die Leser ihre eigene Theorie und schildern ihre Beobachtungen: Weder die EDV- noch die Personalausstattung seien angemessen gewesen, immer wieder habe es deshalb Probleme gegeben. Die Bitte des Arztes, dessen Arbeit der Leser ausdrücklich lobt, man möge ihm eine medizinische Fachangestellte zur Unterstützung schicken, sei vom Arbeitgeber unerhört geblieben, schreibt der Leser. Die GEA-Nachfrage ließen die Kreiskliniken unbeantwortet.
Diffamieren und schlecht machen liegt nicht in der Absicht von Willi Myke und seiner Frau Marion Myke, wie sie in ihrer E-Mail betonen: »Wir wollen mit unserer sachlichen Kritik nur dazu beitragen, dass ein an sich zukunftsweisendes Projekt in der Praxis schlecht umgesetzt wird. Sicher sind dafür auch die aktuellen Umstände des deutschen Gesundheitswesens verantwortlich. Für uns als ländliche Bewohner ist das Port unverzichtbar und wir hoffen auf eine baldige Hausarztlösung.«
Portalfunktion zur Klinik ausbauen
Dass die Hausarztpraxis keine Konkurrenz, sondern eine potenzielle Entlastung ist, die die Infrastruktur auf der Alb verbessern kann, sehen auch Roland Rauscher und Johannes Müller so. Im Falle von Vertretungsdiensten etwa profitieren die anderen Praxen, gibt Müller ein Beispiel. Potenzial hat die Einrichtung auch als Schnittstelle zu den Kreiskliniken: »Sie könnte als Portalpraxis fungieren und Patienten weiter verweisen.« Die Netzwerk-Arbeit, für die das Port steht, ist aus Müllers Sicht ganz grundsätzlich ein Gewinn für die Patienten in der Region.
Die Stellen der Gesundheitslotsin in der Anfangszeit und jetzt die der kommunalen Gesundheitsfachkraft Barbara Boßler »würde ich auf Teufel komm raus verteidigen«, betont Müller. Vor allem Boßlers Angebote für pflegende Angehörige lobt er ausdrücklich: »Wenn man in dieser Situation ist, hängt man oft dazwischen und ist mit dem Papierkram überfordert. Da ist Gold wert, jemanden zu haben, der hilft. Eigentlich bräuchte jede Gemeinde sowas.« (GEA)
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